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Melanie - Inside Joke - Claußtrophobia

Melanie - Inside Joke - Claußtrophobia

Titel: Melanie - Inside Joke - Claußtrophobia
Autoren: Martin Clauß
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Dass er das Projekt finanzierte und dem nun arbeitslosen Andô ein lukratives Honorar zahlte, war dabei keineswegs der Hauptgrund. Der Hauptgrund war, dass er sicher sein konnte, dass Andô niemals aussteigen würde, auch wenn er ihn wie Dreck behandelte. Ein solches Projekt verließ man nicht freiwillig. Man machte keinen Rückzieher, wenn man die Chance hatte, einen Blick auf Gott zu erhaschen – oder auf etwas, das an seiner Stelle stand. Was waren schon ein paar Beleidigungen gegen die Aussicht, dabei sein zu dürfen, wenn …
    „Ich habe Erfahrung damit, Menschen von extremen Reaktionen abzuhalten“, sagte Andô, nachdem er seinen Ärger hinuntergeschluckt hatte, und versuchte, seiner Stimme einen festen, professionellen Klang zu geben. „Du weißt schon, warum du mich ausgesucht hast. So etwas war viele Jahre lang meine Arbeit.“
    „Dann misch dich nicht in meine ein“, lallte Takase eher beiläufig. Er stürzte sich mit beiden Händen auf dem mit Tatami-Matten ausgelegten Boden ab, um nicht umzufallen. Keine Frage: Er hatte wirklich genug getrunken.
    Andô nickte schweigend. Es war … lächerlich. Takase würde gleich etwas freilassen, was er nicht kontrollieren konnte, was nicht einmal Teil ihrer Realität war, und von ihm, Andô, wurde erwartet, dass er ihre Sicherheit garantierte.
    Takase schuf ein Monster, und Andô, der nicht einmal genau begriff, wie es zustande kam, sollte es bändigen!
    Seit er Takases Anruf in den frühen Morgenstunden erhalten hatte, war sein Magen ein kribbelndes, zuckendes, bitteres Etwas aus Angst, und er hatte zum Frühstück keinen Bissen hinuntergebracht. Jetzt, wo er sah, wie viel sich dieser Mann vorgenommen hatte und wie wenig er die Situation beherrschte, fiel es Andô immer schwerer, ein Pokerface zu bewahren.
    „Warum fangen wir nicht an?“, drängte er. Und in Gedanken fügte er hinzu: Ehe Takase die nächste Flasche anbricht, Miura mich weiter erniedrigt und ich die Kontrolle über die Angst in meinem Bauch verliere.
    Gemeinsam halfen sie dem Betrunkenen auf und geleiteten ihn zu seiner Maschine. Fast drei Meter breit war das Ungeheuer, mit seinen Schiebereglern und den schwarzen, beinahe unsichtbaren Knöpfen auf schwarzem Grund. An den Seiten wuchsen Kabelstränge unterschiedlichster Dicke aus dem Gerät, und Andô fragte sich, was passieren würde, wenn nur ein einziger der Anschlüsse locker war. Für eine Sekunde wünschte er sich, dass die Maschine überhitzen und in einem Meer aus Funken verglühen würde, ehe sie noch ein Unglück anrichten konnte. Dann sah, dass der Film bereits eingelegt war, und er entschuldigte sich bei allen Göttern, die ihm den Wunsch vielleicht hatten erfüllen wollen. Wenn die Maschine brannte, würde der Zelluloidstreifen mit ihr zerstört werden.
    Der Film – das vielleicht wichtigste Stück Materie, das es momentan auf dieser Erde gab …
    Sie stützten Takase und sahen zu, wie er seine Einstellungen vornahm. Seine Hände tasteten ungeschickt über die Regler, verstellten einige davon und bewegten andere mit – zweifellos aus Versehen. Takase schien seine Fehler zu bemerken und zu korrigieren, so hatte es zumindest den Anschein, aber mit welcher Zuverlässigkeit tat er das? Sie mussten komplett wahnsinnig sein! Niemand würde sich in ein Flugzeug setzen, das von einem Piloten im Vollrausch gesteuert wurde – noch dazu von einem, der dieses Flugzeug selbst gebastelt hatte und dabei nicht nüchterner gewesen war …
    Wir akzeptieren das, weil es im Grunde nur eine Maschine zum Kopieren von Videos ist , analysierte Andô. Es ist keine Waffe. Kein Flugzeug. Keine Atombombe. Wenn etwas schief geht, dann haben wir ein paar Streifen im Bild, das ist alles. Nur ein paar Streifen im Videobild. So sieht es unser Verstand. Unser Verstand ist maßlos überfordert mit dem, was dieses Ding wirklich ist.
    Der Film surrte knatternd, die Videos raschelten vielstimmig. Das war alles nicht sehr spektakulär. Auf winzigen Monitoren entstanden sich bewegende Bilder, immer dieselben, doch mit unterschiedlichen Helligkeiten, Kontrasten und Farben. Zahlenkolonnen huschten über Displays, Kurven oszillierten. Takase schien sie durch seine glasigen Augen alle zu verfolgen. Dabei rülpste er und bekam Schluckauf-Anfälle. Immer wieder wurde er schwer in ihren Armen und schien einzuschlafen. Wenn sie ihn ansprachen, bewegte er Regler. Einmal brummte er unwillig, durchwühlte die bunten Kabelstränge, die wie Eingeweide aus der Maschine ragten,
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