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Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe - Frascella, C: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe

Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe - Frascella, C: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe

Titel: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe - Frascella, C: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe
Autoren: Christian Frascella
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mich nicht so erniedrigen wie er und meinen Mitmenschen bedrohen, weil ich völlig zu Unrecht befürchtete, unangemessenes Verhalten der Verwandtschaft könnte meine juckende Gier nach Paarung gefährden. Und ich wollte nicht wie meine Mutter enden, die mit einem unreifen Pumpenschwengel von Esso abgehauen war, um sich noch jung und attraktiv vorzukommen.
    »Ich kann sehr galant sein, wenn ich Lust habe. Merk dir das.«
    »Ich hoffe es für dich«, schloss er.
    Die Robbe kam mit einer Tasse dampfenden Kaffees auf einem Tablett zurück. Bestimmt hatte sie alles gehört, die blöde Kuh, denn sie glotzte mich mit einem zufriedenen Lächeln an, als hätte der Alte Klartext mit mir geredet.
    Beide ahnten ja nicht, wie sehr mir dergleichen Schwachsinn am Arsch vorbeigehen konnte.
    Dann gab es ein paar Regentage. Wenn ich in meinem Zimmer aus dem Fenster guckte, erschien mir die Welt zu einem einzigen Ausdruck der Trostlosigkeit erstarrt. Auf den Straßen keine Menschenseele: Alle saßen eingeschlossen in ihren Häusern wie Verrückte in einer überheizten Irrenanstalt.
    Die Berliner Mauer existierte nicht mehr, und ich fand es widersinnig, dass die Medien sich abmühten, ständig über etwas zu reden, was für immer verschwunden war. Eine konkrete Folge gab es jedenfalls, meiner Meinung nach: Jetzt konnten die aus Ostdeutschland mit denen aus Westdeutschland vögeln, und die Kinder dieser fickenden Teutonen würden bloß Deutsche sein und Schluss, ohne sich noch nach Himmelsrichtungen zu unterscheiden. Es ist die Geilheit der Völker, die die Geographie verändert.
    Eine gute Methode, sich auf das Eintreten der Frau des Chefs in unser Leben vorzubereiten, wäre gewesen, keinen Gedanken daran zu verschwenden, Neugierde und Warten zu vermeiden und sich erst dann mit dieser Begegnung zu beschäftigen, wenn sie wirklich stattfand. Doch der Chef bürdete uns unzählige Arbeiten und Stressmomente auf, so dass ich mir das Kommen dieses Scheißsonntags schon so sehr wünschte, als läge der Sinn meines ganzen Zeitalters im Gelingen dieses einen Tages. Der Kistenschlepper ging völlig auf in der Vorbereitung des Ereignisses, er half der Mönchsrobbe beim Saubermachen, stieg sogar auf die Leiter, um die Spinnweben aus den Zimmerecken zu kratzen, putzte Fenster, staubte Möbel ab, rückte Bilder gerade, wechselte die Gardinen, kurzum, er versuchte, dem alten, feuchten Gemäuer, das nur in den Zeiten meiner Mutter, der Verschollenen, einen gewissen Glanz gehabt hatte, ein Lifting zu verpassen. Meine Schwester putzte das Klo mit einer so übertriebenen fachlichen Kompetenz – fegen, feudeln, wischen, auskratzen – dass, darauf hätte ich schwören können, kein anderes Badezimmer der Welt heller strahlen konnte. Es war, als würde in unserem äußerst bescheidenen Kackhaus die Sonne aufgehen, scheinen und untergehen.
    Mir fiel die Aufgabe zu, mich um die Einkäufe zu kümmern. Seit Jahrhunderten hatte ich keinen Fuß mehr in den kleinen Supermarkt an der Ecke gesetzt, darum erinnerte ich mich nach der feinfühligen Einschüchterung durch den Chef (»He du! Beweg deinen Arsch und mach dich nützlich! Wird’s bald? Mach hin, geh einkaufen!«) und mit der Liste bewaffnet, die mir die Schmuddelige, meine Schwester, gekritzelt hatte – Pasta, Fleisch, Eier, Aufschnitt, Kartoffeln, Salat, Obst, Wasser, Wein und aller möglicher anderer Scheiß – vor der Haustür nur noch mit Mühe, welche Richtung ich einschlagen musste, um zu dem Laden zu kommen.
    Wenn ich heute daran zurückdenke, erscheint mir das alles so paradox: Ein Junge geht kiloweise Lebensmittel einkaufen für ein sonntägliches Mittagessen, das ihm scheißegal ist, raucht und flucht den ganzen Weg über, bis er zu einer beliebigen Uhrzeit einen beliebigen Laden in einem beliebigen Ort betritt. Und damit ändert sich sein Leben, wenigstens so, wie er es bis zu diesem Moment vage verstanden hatte, von Grund auf. Damit das klar ist: Ich geriet beim Betreten des Supermarkts nicht mitten in einen Raubüberfall, und keiner verschoss sein ganzes Magazin auf mich, kein Kunde bekam einen Schlaganfall, und wir wurden auch nicht von einem Richter-Skala-mäßigen Erdbeben überrascht. Im Gegenteil, von überall her schlug mir die schläfrige Atmosphäre eines stinknormalen Alltags entgegen, Hausfrauen setzten ihre Brillen auf, um den Preis jedes einzelnen Produkts zu lesen, oder betasteten mit ihren arthritischen Fingern Zwiebeln und Bananen. Aus mehreren Lautsprechern tropfte einem die
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