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Meine Philosophie lebendiger Gaerten

Meine Philosophie lebendiger Gaerten

Titel: Meine Philosophie lebendiger Gaerten
Autoren: Gabriella Pape
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die Kleine mit kindlicher Kraft das Laufgitter hoch, krabbelt in den Falten ziehenden Strumpfhosen den Eltern davon, auf die Wiese hinaus, und die Mutter, italienischstämmig und später Galeristin, weiß nicht, wie sie das Mädchen zurückholen soll, weil es zwischen den Kühen sitzt, vor denen die Mutter sich fürchtet, ganz im Gegensatz zur kleinen Göre, die sich von den Tieren gar abschlecken lässt.
    Bald werden aus dem Beet des Vaters die Pflänzchen geklaut, die bei ihm ohnehin nur schwer oder gar nicht angehen, trotz all seines gärtnerischen Einsatzes - in der Sandkiste hingegen wächst und gedeiht alles. Statt einer Puppenstube werden kleine Baumschulen und Gärtnereien eingerichtet, mit Zapfen ausgelegt, auch Häuser en miniature mit Gärten drum herum entstehen. Ganz nach der Art, die dem Vater, Architekt, im wirklichen Leben wichtig ist, ob im Einfamilienreihenhaus in Fuhlsbüttel oder später etwas südlicher in der Nordheide.
    Und dann taucht eines Tages der Nachbar Vollrath am Gartenzaun auf, uralte sechsundachtzig Jahre sind ihm ins Gesicht geschrieben, im früheren Leben war er einmal Oberpostmeister. Er wird für die kleine Botanikerin mit der
Gießkanne bald Gesprächspartner für Stunden. Mit ihm verbringt sie ihren Tag, jeder auf seiner Seite des Zauns. Seine Leidenschaft ist der Kompost, er erklärt, wie man das macht. Aber auch wie die Johannisbeeren zu beschneiden sind und was mit dem Giersch zu tun ist, diesem lästigen Unkraut, das sich wuchernd ausbreitet und dessen Trieben die unterirdische Jagd gilt - immer nur jäten. Eine Leidenschaft wird entdeckt.
    Das alles interessiert im Haus eigentlich niemanden. Doch das Mädchen genießt es, stundenlang unter den Johannisbeeren den Giersch herauszurupfen, und wenn sie am Ende der Beete angekommen ist, kann sie vorne wieder beginnen. Die frische Erde in den kleinen Händen und zwischen den zarten Fingern - das Herumwühlen im Boden artet zu einem wahren Bedürfnis aus, sehr zum Erstaunen der Eltern und zum Unverständnis der Brüder. So nimmt sie auch gern diese bezaubernden Strafarbeiten entgegen: Haben die Kinder etwas ausgefressen, werden sie in den Garten geschickt und sollen jäten. Solcherart Strafen werden zu den schönsten Erinnerungen für das Mädchen; hier kann es sich stundenlang aufhalten, selbstvergessen in der Erde stochern und wühlen, umschichten und ausreißen, harken und glätten - und nur die Amsel erinnert sie mit ihrem Zwitschern daran, dass es bald dunkel wird. Da weiß das Mädchen, dass es gleich hineingerufen wird, nachdem die Mutter es offenbar längst vergessen hat und die Brüder lange schon ihre Strafstunde abgearbeitet haben - und es hat doch noch längst keine Lust, ins Haus zu gehen, weil vielleicht gerade verzauberte Luftschlösser geträumt
oder geheimnisvolle Spuren unter der Erde verfolgt werden wollten.
    Stauden interessieren sie sehr und alles was blüht. Obst, das geht auch noch. Gemüse ist nicht so ihr Ding. Eine erste Geschäftsidee kommt mit der Apfelernte aus dem eigenen Garten: kleiner Verkaufsstand vor der Haustür. Aber da kommt kaum einer vorbei, und wenn, dann sind es keine Käufer, sondern Mitleids- und Gefälligkeitsabnehmer. Warum also nicht gleich auf den richtigen Markt? »Da fahren wir hin. Und stellen uns neben die anderen Händler. Und machen Unterpreis.« Während die Konkurrenz eine Mark und achtzig für das Kilo verlangt, gibt’s die gleichschönen Äpfel aus der Karre der Jungbotanikerin für eine Mark. Was folgt, ist ein Bombengeschäft - und ein mahnender Drohanruf der Marktleitung bei der Mutter wegen unlauteren Wettbewerbs. Aber da sind die Äpfel schon verkauft und Brüderchen und Schwesterchen auf dem Rückweg - mit leerer Karre und vollen Hosentaschen, in denen es klimpert.
    Ihre Vorlieben und besonderen Fähigkeiten, sie werden andauern und zukunftsweisend sein, wie alles hier im Garten der Kindheit. So auch das Gespräch, der Austausch mit dem Alten, seine Anregungen. Das ganze junge Leben - vielleicht trügt die Erinnerung ja ein bisschen, aber es bleibt eben so im Gedächtnis bewahrt - dreht sich um die ungleiche Begegnung am Zaun, das kleine Mädchen und der hünenhafte, gewetterte Uralte mit seinen riesigen und rissigen Händen, der dunkelblauen Baskenmütze auf dem Kopf, mit seinem nicht sehr lebendigen Garten, viel schwarze Erde, viel Gemüse, im
Herbst viele offene Flächen, viel zu ordentlich geharkt und nirgendwo ein Unkraut. Für die kleine Neugierige ist sie
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