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Meine Philosophie lebendiger Gaerten

Meine Philosophie lebendiger Gaerten

Titel: Meine Philosophie lebendiger Gaerten
Autoren: Gabriella Pape
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beheizt wurden, um den Frost vom Obst fernzuhalten. Gewiss haben solche Experimente auch etwas mit dekadentem Lebensstil zu tun, aber auch mit Gartenkultur auf dem Stand ihrer Zeit.
    In der Königlichen Gärtnerlehranstalt gab es keine Geheimwissenschaft, sondern klar definierte Lehrfächer und Anleitungen, auch für außergewöhnliche Züchtungen und Kultivierungen. So bestand die »Anstalt« aus einer botanischen Abteilung, verbunden mit der pflanzenphysiologischen Versuchsstation, einem Laboratorium für Bodenkunde, einer Obst- und Gemüseverwertungsstation, einem Rosarium,
einem Staudengarten und Arboretum, also einer Sammlung lebender Gehölze. Es gab Obstanpflanzungen, eine meteorologische Station, das Champignonhaus zum Lehren der Pilzzucht und das Wurzelhaus für Untersuchungen und Beobachtungen des Wurzelwachstums. Im Mittelpunkt schließlich verschiedene Gewächshäuser, von denen eines als Erdbeerhaus diente, das über ein Dach mit ausgeklügeltem Dachwinkel verfügte, um die Sonneneinstrahlung zu regulieren. Dort wurde unter anderem gelehrt, wie die Pflanze zu zupfen ist, damit sie am besten fruchtet. Zur Glashausanlage gehörten zudem zwei Weintreibhäuser, ein Pfirsichhaus, ein Kalt- und ein Warmhaus.
    Man stelle sich das einmal vor: In Strippstrull an der Knatter, in der Sandwüste von Prenzlau oder sonst wo in diesem Preußen mit seinem holprigen Pflaster, in dem einst Effi Briest keinen Ausweg mehr fand, wo eigentlich nur der Wind pfeift und die Natur unter extremsten Bedingungen leidet, da lässt ein Landesfürst oder der König höchstselbst die von seinen Gärtnern gezüchtete Ananas aus dem eigenen Anbau auf den Tisch kommen - das ist wahrlich dekadent. Aber das Wissen dafür konnte man sich hier in Dahlem aneignen: Man nahm den Mist von ein paar hundert Pferden, um im Unterbeet Hitze zu erzeugen, natürliche Hitze also, weil man ja nicht einfach Feuer legen konnte. Man baute Beete, eingerahmt von großen Mauern aus Klinker, und füllte sie mit Pferdedung, darüber Erdschichten und Pferdedung im Wechsel. Da hinein setzte man die Ananaspflanze, die diese aufsteigende Hitze braucht.

    Solche Anleitungen zur besonderen Glücksfindung fanden sich in einem Lehrplan, der von einmaliger Ganzheitlichkeit in der Gartenkultur geprägt war. Wollte man sich einen Überblick verschaffen, was in Berlin-Dahlem gelehrt wurde - es würde Seiten füllen. Hier ein Ausschnitt aus dem Studienangebot des Jahres 1913, ein Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, in alphabetischer Folge: Anatomie und Organographie der Pflanze, Architektur, Bakterienkunde, Betriebslehre, Bienenzucht, Blätterkunde, Blumenbinderei und gärtnerische Schmuckkunst, Bodenkunde und Düngerlehre, Chemie, Entomologie (Insektenkunde), Feinobstkultur, Feldmessen und Nivellieren, Freihandzeichnen, Freilandstauden, Gartenkunst und Entwerfen von Plänen, Gärtnerische Pflanzenzüchtung, Gehölzkunde, Gehölzzucht, Gemüseanbau, Geschichte des Gartens und Kunstgeschichte, Gewächshausbau, Handelsstauden, Kolonialpflanzen, Landschaftliche Naturkunde, Landschaftszeichnen, Mathematik, Mikroskopisches Praktikum, Obst- und Gemüseverwertung, Obstbaumpflege, Obstbaumzucht, Obstsortenkunde, Perspektivzeichnen, Pflanzenbau, Pflanzenphysiognomie, Pflanzliche Lebensmittel, Photographie, Physik, Pilzparasitäre Pflanzenkrankheiten, Planzeichnen, Projektionszeichnen, Samenkunde, Volkswirtschaftslehre, Wetterkunde, Zoologie.
    Die Institution der Königlichen Gärtnerlehranstalt setzte Maßstäbe in der deutschen Gartenkultur. Hier wurde der sogenannte Deutsche Stil oder die Lenné-Mayersche Schule gegründet. Die an diesem Ort entwickelten Lehren bestimmten
in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts und im frühen zwanzigsten Jahrhundert die Gartenkultur in Deutschland. Auch bekannte Gartenkapazitäten wie Eugen Karl Lorberg, Karl Foerster und Willy Lange haben hier ihre Ausbildung erhalten.

Zu neuem Leben erweckt
    Es hat lange gedauert, bis ich von diesem geradezu heiligen Ort der Gartenkultur erfuhr, den ich nicht kannte, von dem ich zuvor nichts wusste, der mich schließlich fand, um wieder zum Leben erweckt zu werden, drohte ihm doch schon die völlige Zerstörung und Vernichtung. Seine Größe ist heute im Vergleich zu damals zwar stark in der Fläche reduziert, dennoch bietet das Areal genügend Platz für eine neue Gartenakademie. Die noch vorhandene Glashausanlage ist inzwischen weitestgehend renoviert. Für mich wird es ein ganz besonderes
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