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Meine Freundin Jennie

Meine Freundin Jennie

Titel: Meine Freundin Jennie
Autoren: Paul Gallico
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hatte er sich früher nie vor Lärm gefürchtet, nicht einmal vor den Explosionen der Bomben und dem Donner der Flakgeschütze während des Luftkriegs, obwohl er da noch so klein gewesen war.
    Er hatte noch gar keine Zeit gehabt, sich darüber klar zu werden, daß Geräusche jetzt ganz anders auf ihn wirkten. Waren sie zu laut, hatte er das Gefühl, als schlüge man ihn auf den Kopf, und er konnte jetzt Dutzende hören, die er früher noch nie wahrgenommen hatte. Ein dröhnender Lärm wie jetzt dieses Donnergepolter ließ ihn alles vergessen und trieb ihn dazu, blindlings davonzustürzen, damit der Lärm seinen Ohren und seinem Kopf nicht mehr so weh tat.
    Und so raste er weiter, bis er zu einem hell erleuchteten Baldachin kam, wo er sich ein wenig auszuruhen hoffte und unter dem er jedenfalls vor diesem schrecklichen Regen geschützt sein würde. Aber selbst diese Atempause war ihm nicht lange vergönnt, denn hoch über ihm jammerte ein Mädchen: «Oh, dieses dreckige Biest! Es hat sich an mir gescheuert, und schau nur, wie mein Kleid jetzt aussieht!»
    Das stimmte. Peter war ihr versehentlich zu nahe gekommen, und jetzt war am Saum ihres Abendkleides ein Streifen von dem feuchten Ruß zu sehen. Wieder drangen die heiseren Schreie: «Ksch! Scher dich weg, du Katz! Pack dich! Fort mit dir!» auf ihn ein, und abermals rückten ihm die zornigen Füße bedrohlich auf den Leib, diesmal noch unterstützt von Schirmkrücken, die von oben niedersausten und ihn zu treffen versuchten. Um ihnen zu entwischen, lief Peter, fröstelnd und zitternd und mit vor Angst und Erschöpfung wild klopfendem Herzen, unter ein Auto, das an der Bordschwelle stand, wo sie ihn nicht erreichen konnten.
    Dort sollte er aber nur vorübergehend Schutz vor dem Regen und seinen Verfolgern finden — außerdem war es ohnehin ein recht ungünstiger Zufluchtsort, da das Regenwasser jetzt in Strömen durch den Rinnstein lief —, denn gleich darauf erklangen direkt über Peters Kopf eine ganze Reihe grauenhaft lauter Explosionen, vermischt mit einem unheimlichen Knirschen und Scheppern von Metall und dem gellenden Geheul der Hupe. Heißes Öl und Benzin tropften auf Peter herunter, der vor Entsetzen über diesen Höllenlärm wie gelähmt war und schon dachte, das Trommelfell sei ihm geplatzt. Wo er die Kraft dazu hernahm, wußte er nicht, doch rannte er wieder davon, und gerade im richtigen Augenblick, bevor das Auto losfuhr.
    Es war, als habe er durch seine panische Angst einen neuen Auftrieb bekommen, denn er lief und lief unermüdlich weiter und steuerte dabei auf die dunkleren und krummeren Straßen zu, wo er nicht von so vielen Fuhrwerken bedroht wurde und vermutlich auch weniger Menschen antraf, die ihn beschimpfen und mißhandeln konnten.
    So gelangte er in die ärmeren Stadtviertel, wo die Straßen viel schmutziger waren und aus dem Rinnstein widerliche Gerüche aufstiegen, die ihm Übelkeit erregten, obwohl sie sich mit dem Duft von Kaffee, Tee und Gewürzen vermengten, der aus den geschlossenen Läden hinausdrang. Und nirgends erblickte er ein Obdach oder eine Hand, die sich ausstreckte, um ihm zu helfen, oder hörte er eine freundliche Menschenstimme.
    Hunger gesellte sich nun zu den Qualen, die er litt, Hunger und das Bewußtsein, daß seine Kräfte sehr bald nicht mehr ausreichen würden. Doch lieber noch als anhalten und sich neuen Gefahren aussetzen, wollte Peter weiterlaufen, bis er umfiel. Und dann würde er eben einfach liegenbleiben, bis er starb.
    Er lief, verschnaufte sich ganz kurz und rannte von neuem los. Er taumelte und gab das Rennen doch nicht auf. Er dachte, in der nächsten Minute würden ihm die Augen aus dem Kopf fallen, und jedesmal, wenn er Atem holte, spürte er einen brennenden Schmerz in seinem Brustkasten. Aber immer, wenn er stehenblieb, sah oder hörte er etwas, was ihn sofort weiterjagte — eine Tür, die mit lautem Knall zufiel; ein Schild, das sich im Wind hin und her bewegte; irgendein unbekanntes Geräusch, das seinen empfindlichen Ohren weh tat; die düsteren, furcht- erregenden Umrisse der Gebäude; ein Polizist, dessen hoher Helm und nasses Regencape im Schein einer Straßenlaterne glitzerten; mißtönende Musik, die plötzlich aus Radioapparaten in den Fenstern der oberen Stockwerke auf ihn niederdröhnte; ein Kohlkopf, der nach ihm geworfen wurde und wie der abgeschlagene Kopf eines Menschen auf dem Pflaster entlangkullerte; betrunkene Füße, die aus einer Kneipentür hinausstolperten; eine Flasche, die
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