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Meine Freundin Jennie

Meine Freundin Jennie

Titel: Meine Freundin Jennie
Autoren: Paul Gallico
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Schritt.
    Einer trat ihm jetzt auf den Schwanz, und ein qualvoller Schmerz, den er noch nie zuvor gespürt hatte, durchbohrte ihn, und seiner Kehle entrang sich ein markerschütternder Aufschrei der Wut und des Schreckens. Der Fuß, der ihm das angetan hatte, vollführte nun mit seinem Partner einen merkwürdigen Gleit- und Rutschtanz, während oben aus der Dunkelheit eine Stimme dröhnte: «Dieses verdammte Biest! Ich hätte mir glatt das Genick brechen können. Fort mit dir! Mach, daß du hier wegkommst, bevor sich noch einer ernstlich verletzt!»
    Und der andere Fuß hob sich vom Pflaster, stieß mit aller Wucht gegen Peters Rippen und Schultern und versetzte ihm einen betäubenden Schlag.
    Aus reinem Entsetzen rannte Peter jetzt aufs Geratewohl davon, ohne zu ahnen, wohin und wo er landen würde.
    Es kam ihm plötzlich so vor, als sei ganz London sein Feind geworden und alles, was ihm früher so anheimelnd oder so interessant und aufregend vorgekommen war — die Geräusche, die Gerüche, der Lichtschein aus den Schaufenstern, die Stimmen der Leute und der Tumult und das Gedränge des Straßenverkehrs —, verstärkte jetzt nur die panische Angst, die ihn ergriffen hatte.
    Denn obwohl er wußte, daß er Peter Brown war und auch noch so dachte und fühlte, war er doch nicht mehr der Peter, der auf zwei Beinen einherging und groß genug war, um irgendwelche Dinge vom Kaminsims herunterzureichen, ohne sich auf die Zehenspitzen zu stellen. O nein! Jener Peter war verschwunden, und statt seiner gab es einen, der auf allen vieren lief,- die Ohren zurückgeworfen und flach am Kopf angelegt, den Schwanz schnurgerade und waagerecht hinter sich ausgestreckt, und nun, ohne zu sehen oder zu wissen, wohin er eigentlich rannte, wie ein Verrückter durch die vom Regen gepeitschten Straßen Londons sauste.
    Schon war er weit entfernt von der ihm vertrauten Nachbarschaft, und nichts mehr kam ihm bekannt vor, wie er da bald durch hell beleuchtete und belebte Hauptstraßen, bald durch pechschwarze und winklige krumme Gassen raste. Alles erschreckte und ängstigte ihn, allein schon dieser fürchterliche Regen!
    Als Peter noch ein Junge gewesen war, hatte er den Regen geliebt und es richtig genossen, dann draußen zu sein. Da fand er es herrlich, den Regen auf seinen Wangen und seinem Haar zu spüren und das Rauschen zu hören, mit dem der Regen vom Himmel herabströmte; und er liebte seine kühle sanfte Berührung, wenn die Tropfen ihm aufs Gesicht platschten und dann an seiner Nase entlang hinunterrannen, so daß er sie auffangen und schmecken konnte, indem er einfach die Unterlippe vorschob.
    Aber nun er eine Katze zu sein schien, war der Regen nahezu uner- träglich. Er durchnäßte ihm sein dichtes Fell, bis es ganz stumpf und, schmutzig wurde und die Haare in Klumpen zusammenklebten, so daß ; sie die Fähigkeit einbüßten, ihn zu wärmen und zu schützen, und er den kalten Wind, der jetzt gegen die Häuserwände und Ladenfenster an- brauste, bis auf seine empfindliche Haut spürte. Und obwohl er mit größter Geschwindigkeit dahinstürmte, fühlte er sich völlig durchfroren, denn die kleinen Polster unter seinen Pfoten hatten eine so dünne Haut, I daß auch von ihnen dieses gräßliche Gefühl von Kälte und Nässe auf-stieg.
    Er wußte nicht, wovor er am meisten wegrannte — vor dem Regen, 1 vor Schlägen und Wunden oder der Angst vor dem, was mit ihm geschah.
    Aber selbst, als er sich so müde fühlte, daß er dachte, er könne keinen einzigen Schritt mehr machen, konnte er sich nicht ausruhen und irgendwo unterkriechen, weil jetzt alles und jeder in dsr Stadt gegen ihn zu sein schien.
    Einmal nur blieb er stehen, um sich unter einer Art Gleitbahn, die von einem Lastwagen zum Straßenpflaster hinabführte und den Regen wenigstens etwas von ihm abhielt, ein bißchen zu verschnaufen. Doch kaum hatte er sich da untergestellt, als plötzlich mit dem entsetzlichen Getöse eines Erdrutschs — so als ob große schwere Steine und ganze Felsblöcke einen Berghang hinunterrollten — über diese Gleitbahn an der Rückseite des Lastwagens Kohlen runterpolterten, und im Nu war Peter über und über mit schwarzem Kohlenstaub bedeckt.
    Dieser klebrige feine Staub verschmierte sein nasses Fell, daß es lauter schwarze Streifen bekam, und drang ihm in die Augen und in die Nase, in den Mund und sogar in die Lungen. Außerdem bewirkte dieser schauderhafte Krach, daß sein Herz vor panischer Angst wieder laut zu klopfen begann. Dabei
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