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Meine Freundin, der Guru und ich

Meine Freundin, der Guru und ich

Titel: Meine Freundin, der Guru und ich
Autoren: William Sutcliffe
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würden. Wenn wir uns in London wieder trafen, würde das wahrscheinlich alles kaputtmachen. Ich wollte den Ranj aus Putney gar nicht kennenlernen. Wahrscheinlich würde er nur irgendein gewöhnlicher Orientale sein und mir meine Erinnerungen an den indischen Ranj versauen, diesen unbezahlbaren Spinner.
    Im Zug nach Delhi glaubte ich, bereits auf dem Nachhauseweg zu sein, und hatte das eigenartige Gefühl, daß das genau das war, was ich tun wollte. Ich wollte nicht zu Hause sein , ich wollte nach Hause unterwegs sein. Sämtliche Schwierigkeiten hatte ich hinter mir gelassen, und die lange Zugfahrt zurück in die Hauptstadt war nun nur noch so etwas wie eine Ehrenrunde. Während ich mich dem Ausgangspunkt meiner Reise näherte und dabei aus dem Fenster starrte, begann ich koloniale Gefühle zu entwickeln – so, als ob ich ein Territorium überblickte, das ich erobert hatte. Je länger die Reise dauerte, desto mehr war ich von mir selbst beeindruckt. So eine Riesenstrecke, und alles meins – das alles hatte ich gepackt. Ich konnte es gar nicht glauben, daß ich ganz allein dermaßen gewaltige Entfernungen hinter mich gebracht hatte – und das, ohne umgebracht, ausgeraubt oder aufgegessen zu werden.
    Während der gesamten achtundvierzigstündigen Zugfahrt schaute ich in einem Zustand heiterer Gelassenheit zum Fenster hinaus oder schlief den traumlosen Schlaf eines frisch gekrönten Olympiasiegers.
     
    Wieder in Delhi, suchte ich erneut Mrs. Colaços Pension auf und schaffte es sogar, dasselbe Bett im Schlafsaal zu bekommen wie beim letzten Mal. Ich saß eine Weile mit überkreuzten Beinen auf der harten Matratze und sann darüber nach, wie cool ich doch war. Ich hatte es tatsächlich getan. Ich war wieder dort, wo ich angefangen hatte, und war immer noch am Leben. Ich fühlte mich um Jahre älter und unendlich viel weiser als damals. Ich hatte die vollen drei Monate durchgehalten, ohne aufzugeben. Die Reise war ein Erfolg.
    Ich wußte zwar immer noch nicht genau, was Rucksackreisende eigentlich den ganzen Tag machten, aber das schien nicht so wichtig zu sein. Ich war einer von ihnen. Ich war an Orten gewesen, an die sich die Mehrzahl der Leute gar nicht erst hintraut, und hatte Dinge unternommen, vor denen die meisten Menschen Angst haben. Ich hatte gelitten und mich meinen dunklen Seiten gestellt. Ich hatte etwas von der Welt erlebt.
     
    Nach einer Weile kamen zwei nervöse Typen in sauber aussehenden Jeans zur Tür herein und nahmen zwei Betten in Beschlag. Schweigend saßen sie da und sahen aus, als ob in ihren Köpfen gerade eine Bombe explodiert sei. An ihren Rucksäcken waren noch die Gepäckaufkleber zu sehen.
    »Hi«, erwiderte der eine.
    »Peace – äh, ich meine hi«, erwiderte ich.
    »Seid ihr gerade angekommen?«
    »Ja.«
    »Und, fühlt ihr euch ein bißchen neben der Kappe?«
    »Jeeeesus«, stöhnte der andere. »Es ist so abartig heiß hier. Ich glaub's einfach nicht. Wie soll man hier irgendwas machen?«
    »Soll man ja auch eigentlich gar nicht. Macht einfach nichts. Egal wie.«
    »Ah ja.« Er sah mich an, als ob ich völligen Schwachsinn reden würde.
    »Wie lange bist du schon hier?« fragte sein Freund.
    »Ach, lange genug. Ein paar Tage noch, und ich fliege wieder zurück.«
    »Fängst du mit der Uni an?«
    »Ah … ja, ich denk schon.«
    »Was machst du da?«
    »Ach, ich les gerade was von John Grisham. Hab den Titel vergessen.«
    »Nein, ich meine, an der Uni. Welche Fächer?«
    »Ach so. Ah … Englisch.«
    »Echt? Wo denn?«
    »York. Seid ihr auf Weltreise?« fragte ich und versuchte das Thema zu wechseln. Ich war noch nicht dazu bereit, mich mit zu Hause zu beschäftigen.
    »Ja.«
    »Gerade losgefahren?«
    »Ja. Wir wollen ein paar Monate hierbleiben, dann, wenn's geht, einen Monat nach Pakistan, und danach nach Thailand, Indonesien und Australien.«
    »Cool.«
    »Bißchen einschüchternd, ehrlich gesagt.«
    »Ach was, wird schon gutgehen«, erwiderte ich und war sicher, daß sie zu irgendeinem Zeitpunkt ihrer Reise todkrank werden würden – ganz zu schweigen von Depressionen, Verzweiflung, Raub, Heimweh und der Tatsache, daß sie einander am Ende wahrscheinlich wie die Pest hassen würden. »Ihr werdet bestimmt jede Menge Spaß haben.« Der Anblick dieser milchgesichtigen Angsthasen, die ganz am Anfang ihrer Tour durch Indien standen, rief mir in Erinnerung, wie froh ich war, die Sache hinter mir zu haben. Letzten Endes war ich froh, daß ich es gemacht hatte, aber ich mußte zugeben,
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