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Mein wirst du bleiben /

Mein wirst du bleiben /

Titel: Mein wirst du bleiben /
Autoren: Petra Busch
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dass er selbst auf diesem sitzen würde heute Abend. Er sollte ein Tuch über die hässliche Tischplatte legen. Der Boden war voller Krümel und Flecken. Hätte er Blumen kaufen und auf den Tisch stellen sollen?
    Er trank, und als die heiße Flüssigkeit seine Kehle hinunterrann, erfasste ihn tiefes Vertrauen.
Zukunft.
Heute würde sie beginnen. In wenigen Stunden würden sie ihren Plan zu Ende schmieden. Vielleicht würden die alten Bilder dann irgendwann ganz verblassen, und das Leben würde an Buntheit gewinnen.
    Anpacken! Er holte den Schrubber aus dem Schrank und wischte nass durch den Flur und die Küche. Wischte anschließend die Küchenfronten und die Kühlschranktür ab und säuberte die Schubladen- und Schrankgriffe, an denen sein altes Leben förmlich klebte.
    And I’m free any old time to get what I want.
    Schweiß perlte von seiner Stirn herab.
    Die unangenehmen Seiten des Putzens und Kaffeetrinkens im Sommer, dachte er und blickte auf das Thermometer. Erst kürzlich hatte er es gereinigt, und sein Weiß hob sich jetzt deutlich von den beigen Rauten der Tapete ab. Vierunddreißig Grad Innentemperatur.
    Er goss kalte Milch in eine zweite Tasse Kaffee und fügte der Liste in seinem Kopf als letzten Punkt hinzu: duschen. Dann spülte er einen weiteren Bissen Kuchen hinunter.
    Sein Kaffee, dieses Ritual am Nachmittag, war immer wie eine Ahnung von der Süße des Lebens geblieben. Eines entflohenen Lebens. Heute schmeckte die Süße nach Hoffnung. Nein, sie war mehr: Gewissheit.
    Der Abend würde es besiegeln.
    Das Brennen unter seiner Zunge schrieb er der Aufregung zu. Auch die leichte Übelkeit beunruhigte ihn zunächst nicht.
    I’m free any old time,
summte er leise vor sich hin. Dann fühlte er, wie neuer Schweiß aus seinen Poren drang, und gleich darauf musste er erbrechen. Als er sich dabei an der WC -Schüssel festhielt, stellte er erstaunt fest, dass seine Hände gerötet waren und juckten. Sorgen machte er sich noch immer nicht. Er lachte sogar.
I’m free.
Fast fühlte es sich an wie früher, als er mit vierzehn Jahren seine erste Verabredung mit einem Mädchen gehabt hatte. Hinter dem Schulhof hatte er Gitta getroffen, heimlich, und sie hatte ihm erlaubt, die geflochtenen blonden Zöpfe zu lösen und sie auf die Wange zu küssen.
    Martin Gärtner ging zurück in die Küche.
    Damals, bei Gitta, hatte er auch diese Hitzewallungen gehabt.
    Er trank einen Schluck Milch gegen den schlechten Geschmack im Mund. Doch das Aroma schien ihm fremd, und der säuerliche Belag auf seiner Zunge wollte nicht verschwinden.
    Erst als ihm der Tetrapak aus der Hand glitt, die Milch sich über den Boden ergoss, als seine Gliedmaßen sich anfühlten wie große Gummirollen und gleichzeitig glühendes Blei seine Lungen füllte, ergriff ihn Angst. Verschwommen sah er Jagger, der mit schiefem Kopf vor ihm saß und winselte. »Hörst du das Pfeifen auch?«, sagte er und fragte sich, ob das Röcheln aus ihm selbst drang oder die CD einen Fehler hatte, während Krämpfe ihn schüttelten.
    Das Telefon!,
schoss es ihm durch den Kopf. Sein Herz raste, er krallte sich am Tisch fest, stürzte zu Boden, wollte schreien, spürte die Nässe der Milch durch sein dünnes Hemd dringen und Jaggers Zunge auf seinem Gesicht, und im selben Moment lösten sich Harn und Stuhlgang, klebten warm zwischen den Pobacken und in seinem Schritt.
    So muss sie sich auch gefühlt haben, vor fast dreizehn Jahren, dachte er noch und sah den roten Vogel in den Himmel hinauffliegen.

[home]
2
    D ie Finger schlossen sich um den Kugelschreiber wie dicke Würmer, als die Sprechstundenhilfe den nächsten Termin auf den Zettel schrieb.
    Thea Roth betrachtete die Frau im weißen Kittel hinter dem Tresen und sog den Geruch der Räume ein. Es war die typische Mischung aus Desinfektionsmittel, Essig, Staub und abgestandenem Schweiß, mit der sie stets das Gefühl von Machtlosigkeit und Schmerz verband, ja, bei der sie manchmal den Tod zu riechen glaubte.
    Die intensiven menschlichen Ausdünstungen rührten allerdings nicht von Krankheit und Sterben her, sondern eindeutig von Gabriele Hofmann, die ihr gerade den Terminzettel reichte und dabei große, dunkle Flecken unter ihren Achseln entblößte.
    »Montag in vierzehn Tagen, neunter August, acht Uhr. Frau Wimmer ist gleich so weit«, sagte Hofmann, und ihr gewaltiger Vorbau schob sich unter dem weißen Kittel nach vorn. »Wie schön, dass Sie die alte Dame immer begleiten.«
    Thea Roth schüttelte sich innerlich.
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