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Mein wirst du bleiben /

Mein wirst du bleiben /

Titel: Mein wirst du bleiben /
Autoren: Petra Busch
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Schuld die Kehle zugeschnürt, nur wenige Sekunden, bis er sich sagte: Es ist in Ordnung. Du änderst nichts mehr daran.
    Er löste die Hundeleine und tätschelte den grauen Hundekopf. »Komm, Jagger, wir haben noch Pläne.«
    Die Hitzewelle, die die Stadt seit Wochen lähmte, hatte ihn nicht ermüden können. Martin Gärtner war erwacht. Streit in der Nachbarwohnung, das ständige nächtliche Klavierspielen, das durch die Zimmerdecke drang und ihn wach hielt, der kaputte Müllcontainer … Es war noch nicht lange her, da hatte er das alles kaum wahrgenommen. Wie ein Entseelter war er durch die Welt gegangen, dumpf, das Herz leer und der Körper wie taub, gefangen von diesen Bildern, denen er nie hatte entkommen können: die zarten, blassen Glieder, der gelbe Regenmantel, die entsetzten Augen unter dem hellen Pony und der Schulranzen, der wie ein roter Vogel durch den Himmel geflogen war.
    Nur selten dachte er noch an die zahllosen Sitzungen bei dem Psychologen. Außer einem amtlichen Gutachten zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit hatten sie nichts gebracht. Nur an diesen verhängnisvollen Tag dachte er noch. Es schien ihm ein ganzes Menschenleben her zu sein, als er sich an einem verregneten siebten November zum letzten Mal hinter ein Steuer gesetzt hatte. Wenn er nachrechnete, lag der Tag bald dreizehn Jahre zurück. Ein ganzes Kinderleben lang. Dreizehn Jahre, in denen er sich Rituale und den quirligen Hundemischling zugelegt hatte, um nicht vollends unterzugehen. Und in denen er sich mit wenig Geld und viel Einsamkeit arrangiert hatte. Bis zu dieser unglaublichen Begegnung.
    Er ging die Engelbergerstraße hinunter und überquerte die Eschholzstraße. Wie fast jeden Tag dröhnte dort aus einem geöffneten Fenster dieses einförmige Gebrabbel, das die jungen Leute wohl Musik nannten. Auf die Texte hatte er nie geachtet. Erst in letzter Zeit war ihm aufgefallen, dass sie durchaus Sinn ergaben. Von Liebe war da die Rede, von Trostlosigkeit und Angst, die man überwinden konnte – und von Zukunft.
    Er ging rascher, fühlte sich beinahe beschwingt, und er wunderte sich über seine Energie und darüber, dass dieses verloren geglaubte Gefühl von leiser Freude noch in irgendeiner Ecke seines Innern ausgeharrt hatte und jetzt, jeden Tag ein zerbrechliches Stückchen mehr, herausgekrochen kam.
    Zukunft! Vielleicht war sein Leben nicht wertlos. Vielleicht konnte er ihm einen neuen Sinn geben. Im Herbst feierte er seinen siebenundfünfzigsten Geburtstag. Es war nicht zu spät.
    »Dieses Jahr sitze ich nicht mit einem einsamen Bier in der Küche«, sagte er zu Jagger, dessen Krallen gleichmäßig vor ihm über den Gehsteig klackerten. Aus dem rissigen Teer lugten dürre gelbe Grasbüschel hervor.
    Martin fühlte die Plastiktüte schwer in seiner Hand. Sekt. Es war der teuerste, den er gefunden hatte, eigentlich nicht zu bezahlen für ihn. Lange hatte er vor den Flaschen gestanden und mit sich gekämpft. Ebenso wie mit der Entscheidung: Lachs ja oder nein. Jetzt wartete eine Delikatesse darauf, verzehrt zu werden. Es war der Versuch, einen schönen Abend zu bereiten. Den Grundstein für die kommenden Ereignisse zu legen. Nein, heute war kein Tag für Dosenbier, Leberwurst und Graubrot in Scheiben.
    Kurz darauf füllte Martin Gärtner Wasser und Kaffeepulver in die Maschine, legte Sekt und Fisch in den Kühlschrank und nahm einen Tetrapak Milch heraus. Dann drückte er den Startknopf auf dem alten CD -Spieler neben der Spüle. Die
Rolling-Stones
-Scheibe hatte er gestern aus einer Schublade herausgekramt, zuerst mit zittriger Hand – aber schließlich hatte er sie einfach eingelegt. Bei den ersten Klängen hatte er wie paralysiert im Zimmer gestanden, die Faust auf den Mund gepresst, die Augen geschlossen. Doch dann war es vorbei gewesen, und er hatte gewusst, dass ein neuer Weg vor ihm lag.
I’m free to do what I want any old time,
intonierte er, während er den alten Küchentisch mit der abgeplatzten Resopalplatte deckte.
    Als das Blubbern der Kaffeemaschine verstummte, gab er Milch und dampfenden Kaffee in eine Tasse, rührte zwei Stücke Würfelzucker hinein, setzte sich und schob sich eine Gabel Kuchen in den Mund. Lange ließ er die frischen Erdbeerstücke zwischen den Backen hin und her gleiten, als koste er zum ersten Mal in seinem Leben die süßen Sommerfrüchte.
    Vieles ging ihm durch den Kopf, Profanes, an das er längst keinen Gedanken mehr verschwendet hatte: Der Stuhl wackelte. Er musste darauf achten,
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