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Mein Tutor

Mein Tutor

Titel: Mein Tutor
Autoren: Lindsay Gordon
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wundervoll aufpoliert. Was andere so wegwerfen, dachte ich, als er mir aus meiner Jacke half.
    »Ein Dollar fünfzig«, erklärte ich ihm, »auf einem Flohmarkt in Athen.«
    Er zog seine eigene Lederjacke aus und grinste. »Sieben Dollar zehn, vor acht Jahren in einem kleinen Laden in Soho.«
    Er berührte die silbernen Kettenglieder, die um meinen Hals lagen und an denen der schwere Navy-Ring eines Mannes baumelte. »Die Kette war umsonst«, sagte ich leise. »Sie war kaputt, aber ich habe den Verschluss repariert. Der Ring hat mich fünf Dollar gekostet. Ich habe ihn seit der Highschool.«
    »Ist mehr als hundert Mäuse wert, oder?«
    Ich nickte und strich mit den Fingern über seine Armbanduhr.
    »Timex. Sie gehörte meinem Vater. Auf der Rückseite ist mein Geburtsdatum eingraviert.«
    Wir sahen einander in die Augen. Das war der Grund, aus dem ich alte Dinge sammelte. Wegen der Geschichten oder vielmehr wegen der Geschichte . Meine Taschenuhr, die sich in meiner Handtasche befand, hatte meinem Großvater gehört. Wenn man die Rückseite aufklappt, sieht man ein verblichenes Schwarz-Weiß-Foto, das meine Großeltern in den Flitterwochen zeigt. Todd hatte mir eine Rolex geschenkt, die sie ersetzen sollte, weil es ihn nervte, dass ich immer in meiner Tasche herumkramte, wenn ich wissen wollte, wie spät es war, ohne sich bewusst zu machen, welche Freude mich überkam, wenn ich dieses flache goldene Stück Zeitgeschichte in den Händen hielt.
    Bei Todd hatte ich immer das Gefühl, mich noch in der Probezeit zu befinden, und gelegentlich hatte ich das Bedürfnis, ihn daran zu erinnern, dass ich nicht wie sein brandneuer Sony-Fernseher mit einer Rückgabegarantie ausgestattet war. Das Gespräch, das ich gerade mit dem Fremden führte, hätte Todd zutiefst erschreckt. Er erzählte anderen Menschen nur zu gern, was etwas gekostet hatte – aber nur, um sie mit den hohen Summen zu beeindrucken. Dass man damit angeben konnte, ein Schnäppchen gemacht zu haben, hätte er niemals verstanden.
    »Ihr Kleid.«
    »Fünf fünfzig«, erwiderte ich in dem Glauben, er wolle wissen, was es gekostet hatte.
    »Nein, ich meinte, zieh es aus.«
    Und jetzt spürte ich die Schmetterlinge in meinem Bauch. Die, die ich so lange vermisst hatte. Das Gefühl, das am ehesten in diese Richtung gegangen war, hatte ich gespürt, wenn ich in einem Gebrauchtwarenladen ein Juwel unter all dem Müll entdeckt hatte.
    »Du bist doch diejenige, die mir den Plattenspieler vor der Nase weggeschnappt hat, oder?«
    Ich grinste ihn verwegen an. »Man braucht nur siebenunddreißig Cent, damit er richtig funktioniert.«
    »Die meisten Menschen bezahlen deutlich mehr, um dasselbe Ziel zu erreichen. Insbesondere in dieser Stadt.«
    Und dann schwiegen wir, allerdings weil wir uns küssten. Seine Hände lagen auf meinen Armen, glitten meine Schultern hinauf und dann hinunter zu meinen Handgelenken, wo sich sein Griff verstärkte. Ich trug nur noch meinen Slip, meinen Strumpfhalter und meine hochhackigen Schuhe. Er war immer noch vollständig angezogen mit seiner Jeans und dem schwarzen Retrohemd aus Polyester. So etwas hätte mein Englischlehrer in der Highschool getragen, der die Modewelt nicht wirklich verstanden hatte. Aber an Killian sah es gut aus.
    Er sah noch besser aus, als er es ausgezogen hatte. Wir beiden streiften unsere Kleidung gleichzeitig in der Garage ab. Doch während ich alles auszog, behielt er seine Jeans und das verschlissene Konzert-T-Shirt – Never Mind the Bullocks, Here’s the Sex Pistols – an, das er unter dem langärmeligen Hemd trug. Er sagte kein Wort, sondern bewegte sich nur. Er drückte mich gegen ein selbst gebautes Regal, und die Messingverzierungen des einstigen Kopfbrettes bildeten den Ausgangspunkt der Kette, die er mir um die Handgelenke wickelte. Er fesselte mich im Stehen, mit dem Rücken zu ihm, die Hände über dem Kopf, und ich spürte das kalte Metall an meinen Wangen, meinen Brüsten, meiner Muschi. Ich spürte den kalten Betonboden unter meinen nackten Füßen. Kurz fühlte ich mich verloren, doch dann setzte die Musik ein.
    Bessie Smith.
    Auf Vinyl.
    Sein Mund an meinem Hals, seine Stimme in meinem Ohr. »Hör dir diesen Klang an. Dieser magische Ton am Anfang, wenn die Nadel die Rille berührt. Lässt Vinyl bei dir nicht auch immer Erinnerungen aufsteigen?«
    Ich wäre beinahe schon in diesem Augenblick gekommen, weil er genau das in Worte fasste, was ich Todd zu zeigen versucht hatte. Er hatte mit einem Satz
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