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Mein Tag ist deine Nacht

Mein Tag ist deine Nacht

Titel: Mein Tag ist deine Nacht
Autoren: Melanie Rose
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gewesen, verursacht durch nichts weiter als den durch dieses Erlebnis ausgelösten Schock. Ich war noch immer ich, Jessica Taylor. Ich blickte auf meine ringlosen Finger hinab und hätte vor Freude am liebsten losgeschluchzt.
    Ich sah wieder auf und beobachtete, wie der Pfleger auf der Suche nach einer Kehrschaufel und einem Besen das Zimmer verließ. Nirgends kleine Kinder, die sich irgendwo im Schatten verbargen, nirgends ein Ehemann, der mich davon überzeugen wollte, dass ich seine Frau sei. Sobald der Pfleger fort war, drehte ich mein Gesicht ins Kissen und weinte vor Erleichterung.
     
    Es beunruhigte mich, was sich mein Gehirn während meines Schlafes alles zusammenfabuliert hatte. Die Verletzungen, die ich mir durch den Blitzschlag zugezogen hatte, hatte ich mir im Traum größer ausgemalt, als sie wirklich waren. Weder hing ich in Wirklichkeit an einem Tropf, noch war mein Brustkorb mit einem Herzmonitor verbunden oder hatte ich einen großen Verband um Hals und Schultern. Es war, als hätte ich mich aufs Schlimmste gefasst gemacht und würde nun angenehm überrascht entdecken, dass ich fast unversehrt davongekommen war.
    Nachdem ich das reichlich spartanische Krankenhausfrühstück aus Cornflakes und Toast zu mir genommen hatte, kam ein junger chinesischer Assistenzarzt herein. Er stellte sich als Dr.Chin vor und versicherte mir, ich wäre noch mal mit einem blauen Auge davongekommen.
    »Ihre Verbrennungen an Rücken und Schulter sind minimal«, erklärte er. »Wir haben die Wunden leicht verbunden, um eine Infektion zu verhindern, aber sie sind oberflächlich und sollten in ein paar Tagen abgeheilt sein, ohne langfristig Narben zu hinterlassen.«
    »Ein Antibiotikum ist nicht notwendig?«, fragte ich.
    Er schüttelte den Kopf und spähte auf eine Tabelle, die am Bettende gehangen hatte. »Wir haben Sie nur deshalb in dem Krankenzimmer untergebracht, weil Sie das Bewusstsein noch nicht wiedererlangt hatten, aber alle zwei Stunden durchgeführte Beobachtungen in der Nacht haben sich als befriedigend erwiesen.«
    »Hat mein Herz irgendwann einmal ausgesetzt?«, erkundigte ich mich besorgt.
    Der Assistenzarzt schüttelte seinen mit seidig glänzendem schwarzem Haar bedeckten Kopf. »Aber nein, nichts dergleichen. Sie sind eine sehr starke Frau.« Nach kurzem Zögern setzte er hinzu: »Sie schlafen sehr tief, Miss Taylor. Sie haben seit gestern durchgeschlafen. Wie fühlen Sie sich jetzt?«
    Ich dachte eine Weile darüber nach und grinste ihn dann an. »Ich fühle mich gut. Darf ich heim?«
    »Da warten wir mal noch die Visite des Chefarztes ab«, erwiderte er nickend. »Aber ich bin mir sicher, alles wird in Ordnung sein.«
    Er wandte sich zum Gehen, drehte sich dann aber noch einmal um und lächelte. »Wissen Sie eigentlich, dass die Chinesen den Blitz einst für ein böses Omen gehalten haben? Man hat ihn für ein Zeichen der Missbilligung Gottes gehalten. Bei Ihnen trifft das allerdings nicht zu, Miss Taylor, meines Erachtens haben Sie großes Glück gehabt.«
    Was du nicht sagst, dachte ich bei mir, und sah zu, wie er aus dem Zimmer eilte. Ich legte mich vorsichtig zurück, damit ich mit dem leichten Gazeverband an meiner linken Schulter nicht hängenblieb. Vor meinem inneren Auge sah ich Grant und die vier Kinder. Sie hatten so real gewirkt, und ich fragte mich, wie ich auf ihre Namen und ihr Aussehen gekommen war. Kurz bevor ich in einen leichten Schlummer fiel, wunderte ich mich noch, dass ich mich so klar an den Traum erinnern konnte. Unwillkürlich erschauerte ich, und mir wurde bewusst, dass ich wirklich Glück im Unglück gehabt hatte.
    Die Visite wurde von vier weiß bekittelten Ärzten durchgeführt, die sich in aufsteigender Rangfolge um einen fünften scharten, und sich nacheinander um jedes Bett versammelten. Es war auf der Stelle klar, welcher der ranghöchste Arzt war, und den unterwürfigen Halbverbeugungen Dr.Chins zufolge war ich mir sicher, dass mein Arzt unter ihnen vermutlich der mit dem niedrigsten Rang war. Für mich ein weiterer Grund, einen Seufzer der Erleichterung auszustoßen. Ein weniger erfahrener Arzt musste bedeuten, dass meine Verletzungen geringfügig waren und wenig Anlass zur Sorge gaben.
    Meine Gedanken schweiften zu dem Traum und Laurens Verletzungen zurück. Der Blitz hatte ihr weitaus übler mitgespielt als mir. Natürlich war sie nicht real, sondern nur ein Phantasiegebilde von mir, aber ich fragte mich, warum ich mir, wenn ich sie erfunden hatte, auch vorgestellt
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