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 Mein spanisches Dorf

Mein spanisches Dorf

Titel: Mein spanisches Dorf
Autoren: Brigitte Schwaiger
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seltsames Wesen, daß man sich keine Großmutter und auch keine Mutter zu ihr hat vorstellen können, im Grunde genommen. Sie war ein Begriff für sich und gewissermaßen eine Institution. Keine, auf die man stolz sein könnte. Aber doch irgendwie ein Wahrzeichen von unserer Stadt, so wie das Riesenrad zu Wien gehört. Aber bei uns ein Wahrzeichen im negativen Sinn. Man darf es ruhig aussprechen: die Ansch ist in sämtliche Ehen eingebrochen und hat, auch das kann man ruhig behaupten, mit jedem zweiten oder dritten, der ihr ein Glas Wein gezahlt hat, ihr Unwesen getrieben.
    Und jetzt liegt sie im Sterben. Es ist alles so unglaublich und furchtbar. Weil uns jetzt zum erstenmal bewußt wird, daß sie ein Mensch ist. Nicht ein Mensch im Sinne von das Frühwirth-Mensch, wie man gesagt hat früher, wie sie noch kleiner war und mit Zöpfen und nicht mit offenem Haar, wie in den letzten Jahren. Sie ist wirklich die erste gewesen mit roten, offenen Haaren. Rein optisch nicht unangenehm. Und dieser junge Mensch soll also sterben.
    Alle haben ihr unrecht getan. Weil man einen jungen Menschen nicht verurteilen soll.
    Weiß man denn und bedenkt man überhaupt, woher manche solche Menschen kommen? Wo soll sie es denn gelernt haben, was die anderen jungen Menschen in der Stadt längst wissen, über die Grenzen des Anstands und so? Warum hat sich denn nie jemand gekümmert um die Ansch, daß sie eine Annemarie wird oder eine Anneli bleibt, wie die anderen Mädel?
    Der Kellerbauer Franzi hat es als erster gewußt, weil er den Unfall gesehen hat draußen am Weihteich. Und dann sind gleich ein paar Leute nach Linz ins Unfallkrankenhaus gefahren, um es genauer zu wissen.
    Wo es sich dann herausgestellt hat, daß die, die im Koma liegt, eine Welserin ist, die keiner kennt. Sie wollte in die Tschechoslowakei fahren. Auch mit so einem roten VW, wie ihn die Frühwirth hat.
    Und das Luder sitzt schon wieder im Kaffeehaus.

 
     
    Auf der Promenade sitzt a feiner Herr,
    hat an Schokolade, gibt ka Bröckerl her!
     
    Das ist nicht wahr. Das haben wir nur gesungen. Auch:
     
    Freistadt liegt am Frauenteich, juppheidi! Juppheida! Rundherum liegt Österreich, juppheidi, heida!
     
    Und daß da Bäume sind und dazwischen Zwischenräume. Obwohl, ein paar Kastanienbäume hat der Blitz gespalten, und sie mußten umgeschnitten werden. Den hölzernen Musikpavillon haben sie weggerissen, und überhaupt ist die Promenade nicht mehr das, was sie einmal war, weil sie immerzu verschönert und noch mehr verschönert wird.
    Auf der Bank gegenüber dem Brauhaus sind der Schober und die Schoberin gesessen, jeden Nachmittag, wenn es warm war, immer nebeneinander. Keiner hat je den Schober ohne die Schoberin gesehen, außer sie ist Milch holen gegangen. Über achtzig Jahre waren sie und haben auf den Tod gewartet. Aber der liebe Gott holte sich den Schober mit einem Schlag ins Gehirn. Jetzt sitzt die Schoberin allein auf der Bank. Die Mütter mit ihren Kindern machen einen Umweg hinter der Bank vorbei und spazieren erst in zehn Meter Entfernung wieder auf der Promenade weiter, weil die Schoberin jedem, der vorbeikommt, laut erzählt, wie es gewesen ist mit dem Schober, wie sie jung waren, daß er sie mit Küssen zugedeckt hat, am ganzen Körper.
     
     
    Wer grüßt wen zuerst? Das ist ein echtes Problem. Die Frau Professor Nebenführ zum Beispiel, die ist kurzsichtig und setzt keine Brille auf. Inzwischen muß man sie eigentlich mit Frau Oberstudienrat titulieren, weil der Mann vom Unterrichtsministerium den Ernennungsbescheid bekommen hat. Aber irgendwie widerstrebt es einem. Sie macht immer so schnelle, große Schritte und mit dem Oberkörper voran, und das Gesicht ganz verkniffen unterm Steirerhut, da grüßt man sie freundlich, und sie grüßt zurück, wenn sie einen guten Tag hat, aber es gibt Tage, da braust sie an einem vorbei, daß man sich wirklich fragt, ob man ihr die Ehre antun soll. Oder der Herr Hauptschuldirektor, dem ist sein neues Amt in den Kopf gestiegen, anscheinend. Er schreitet hocherhobenen Hauptes eingehängt in seine dünne Frau über die Promenade, beim Böhmertor beginnend im Uhrzeigersinn, und so arrogant, wie der geworden ist, hat er zu seinem fünfzigsten Geburtstag eine Ankündigung geschickt, gerade, daß er nicht geschrieben hat, Seine Majestät, Herr Professor Doktor und so weiter, aber: Ich, hat er geschrieben, und alles aufgezählt, was er bis jetzt gewesen ist und was er heute ist, und daß er jetzt Geburtstag feiert. Dabei
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