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Mein schwules Auge

Mein schwules Auge

Titel: Mein schwules Auge
Autoren: Rinaldo Hopf u.a.
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Bruder“, bei diesem Wort zwinkert er Frau Garms schelmisch zu „ist noch bei der Arbeit.“ „Um diese Zeit? Ach je. So was Fleißiges. Er ist wirklich ein wackerer Bursche.“
    Einen Moment lang steht sie unentschlossen am Zaun. Dann wendet sie sich ab und ruft im Weggehen „Dann komme ich morgen wieder. Einen schönen Abend noch.“
    Schnepfe! Wenn die wüsste. Von wegen Arbeit. Im Darkroom treibt der „gute Herr Rolf“ sich rum, und lässt es sich von wildfremden Männern besorgen, während sein „Bruder“ den Garten in Schuss hält. Bernhard könnte platzen über diese Ungerechtigkeit. Nicht weil er selber in den Darkroom wollte. Nein, die ständige Vögelei passt nicht zu seinen Vorstellungen vom Leben eines Mannes mittleren Alters. Er macht es sich mittlerweile lieber selbst. Deshalb hat er Rolf darum gebeten, sich sexuelle Befriedigung bei anderen zu holen. So hat Bernhard seine Ruhe und Rolf seinen Spaß. Ihren Status als Paar beeinträchtigt diese Ubereinkunft nicht. Wenn Außenstehende allerdings denken, Rolf sei der Tugendhafte in ihrer Beziehung, verliert Bernhard die Fassung. War er es nicht, der Frau Garms darin beigepflichtet hat, dass es eine gute Idee wäre, in der Schrebergartensiedlung lieber als Brüder denn als Ehegatten aufzutreten? Ist er es nicht, der das angepasste Dasein dem Lotterleben vorzieht? Ohne Frage. Aber das sieht
    Frau Garms nicht. Stattdessen ist sie ganz vernarrt in seinen Mann. Lächerlich. Wenn sie wüsste, wie wenig Rolf seinen Sextrieb im Griff hat, würde sie sicher nur noch nach dem „guten Herrn Bernhard“ verlangen. Doch leider: Die Befriedigung, die ebendieser aus seiner Enthaltsamkeit zieht, muss er allein mit sich selbst ausmachen. Die Wahrheit würde alle anderen doch nur schockieren.
    Weit weniger beschwingt als zuvor füllt Bernhard die Gießkanne auf. Eigentlich haben die Blumen genug Wasser bekommen, aber er muss sie jetzt noch ein bisschen weiter gießen, um sein inneres Gleichgewicht wieder zu erlangen. „Lalala. Darf denn niemand wissen, wenn man sich küsst?“ Die Blüten trotzen tapfer den auf sie niedergehenden Wassertropfen. „Wenn man einmal alles vergisst – vor...“ Da klappt das Tor und Rolf tritt in den Garten – mit der üblichen Mischung aus Schuldbewusstsein und Selbstgefälligkeit, die er immer im Blick hat, wenn er nach seinen Eskapaden zu Bernhard zurückkehrt. Oder doch nicht? So gern Bernhard sie erkennen würde, irgendwie scheint die Selbstgefälligkeit in diesem Moment zu fehlen. Egal. Bernhard hört erst auf zu singen, dann hört er auf zu gießen und dann sagt er mit einer wohl dosierten Prise Ironie in der Stimme:
    „Sieh an. Mein Bruderherz ist nach getaner Arbeit nach Haus zurückgekehrt.“ „Sei nicht zickig“, erwidert Rolf und nimmt Bernhard fester in den Arm als sonst. „Wir müssen reden.“
    „Reden?“ Bernhard kommt vollkommen aus dem Konzept. „Das ist doch sonst nicht deine Art...“
    Rolf nimmt Bernhards Hand und zieht ihn zu den Schalensesseln, die vor der Laube stehen. Die beiden setzen sich. Einen Moment lang hängt ein irritiertes Schweigen in der Luft. Das hält Bernhard nicht lange aus. Unbeholfen fragt er:
    „Und? War gut?“
    Rolf lacht. „Danke der Nachfrage. Aber... Nö. Eigentlich nicht.“
    Darauf weiß Bernhard nichts zu antworten. Er heftet seinen Blick auf die Regenbogenwindmühle, die sich träge im Wind dreht.
    „Ich hab irgendwie keine Lust mehr, ständig nur mit Fremden zu vögeln.“
    Jetzt fixiert auch Rolf die Windmühle.
    „Ich will dich ja nicht drängen, aber... Willst du nicht wenigstens mal mitkommen?“
    Nun sehen sich die beiden doch an. Bernhard ist verlegen, aber auch irgendwie geschmeichelt. Rolfs Worte haben seinen Zynismus zum Erliegen gebracht:
    „Ich will aber auch nicht mit Fremden vögeln“, sagt er aufgekratzt.
    „Musst du ja nicht“, erwidert Rolf. „Ich bin ja auch noch da.“
    Beide müssen lachen. Ein Windstoß lässt die Regenbogen-Mühle schneller rotieren.
    „Hast du grad gesungen, als ich gekommen bin?“, fragt Rolf irgendwann.
    Bernhard wird rot und nickt. Rolf lacht, steht auf und zieht ihn zu sich empor. „Kann denn Liebe Sünde sein?“ , singt er mit schräger Stimme. Ein Kuss.
    Dann tanzen sie wortlos auf der Stelle, drehen sich unkontrolliert durch den kleinen Garten, bis sie das Gleichgewicht verlieren und ins Blumenbeet plumpsen. Dort bleiben sie keuchend liegen. Sie küssen sich leidenschaftlich. Sie berühren einander
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