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Mein Onkel Ferdinand

Mein Onkel Ferdinand

Titel: Mein Onkel Ferdinand
Autoren: Horst Biernath
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zu überlassen. Es geht um dein Leben und deine Zukunft — und einmal kommt eben der Moment, in dem man auch als Vater und als Mutter einsehen muß, daß es Angelegenheiten gibt, bei denen man nicht mitzureden hat. Wie also deine Entscheidung auch ausfallen mag, unserer Zustimmung kannst du sicher sein.«
    Ich sah meine Mutter mißtrauisch an: »Ist das auch deine Meinung, Mama?«
    »Gewiß...«, antwortete sie lakonisch. Diese ungewöhnliche Kürze war nicht dazu angetan, mich zu beruhigen.
    »Es soll beileibe kein Mißtrauen gegen dich sein, Mama — aber willst du mir heilig versprechen, diese Geschichte wirklich ganz allein mir zu überlassen und Gertrud nicht aufzusuchen?«
    »Ich verspreche es dir feierlich!« sagte meine Mutter und errötete nicht einmal bei dieser Lüge. Da mein Vater mir zunickte, was mich sehr beruhigte, denn ich kannte seine absolute Zuverlässigkeit, lag mir nichts mehr daran, an einem Mutterwort zu drehen und zu deuteln.
    »Dann bist du also wohl zufrieden...«, meinte Vater, der von Mutters Heimlichkeiten genausowenig Ahnung hatte wie ich selber.
    Wir frühstückten in Frieden und Harmonie, und dann verließ ich das Haus, um mein Labor aufzusuchen, wo ich in den letzten drei Urlaubstagen Arbeit genug zu finden hoffte, um wenigstens tagsüber auf andere Gedanken zu kommen. Meine Kollegen und die Laboranten, die annehmen mußten, ein übertriebener und durchaus unkollegialer Pflichteifer und Ehrgeiz, es zum Abteilungsleiter zu bringen, sei der Grund meines Erscheinens, beruhigte ich damit, daß ich vorgab, ich sei nur gekommen, um eine private Arbeit für ein Fachblatt zu erledigen.
    In der Stille des Labors kam mir der Einfall, Gertrud ein paar Zeilen zu schreiben. Ich war sie ihr für mein gestriges Betragen wohl auch schuldig. Ich bat sie, an meiner Liebe zu ihr nicht zu zweifeln, aber auch einzusehen, daß sie uns beiden Zeit lassen müsse, mit der veränderten äußeren Lage fertig zu werden. Selbstverständlich bedeuteten diese Zeilen nicht etwa, daß ich einer persönlichen Aussprache ausweichen wolle, aber ich hielte es eben für notwendig, einen gehörigen Abstand zu den gestrigen Ereignissen zu gewinnen. Diesen Brief, der mit der Versicherung meiner unwandelbaren Freundschaft schloß, sandte ich Gertrud durch den Laborboten zu.
    Dem dummen Bengel, der beim Lesen der Anschrift grinste, gab ich eins in die Rippen und erklärte ihm, daß es sich bei der Dame um eine Bibliothekarin handle. Und sein freches »so, so...« veranlaßte mich, ihm anstatt der Mark, die ich ihm zugedacht hatte, nur die Hälfte als Botenlohn zu geben. Erst diese Schäbigkeit schien seine Zweifel zu beseitigen, daß er etwa die Rolle eines Postillons d'amour spiele. Später bummelte ich durch die Stadt, aber ich vermied die Straßen, die zwischen dem Hotel Savoy und Gertruds Wohnung lagen, denn ich vermutete, daß sie Graham am Vormittag aufgesucht habe.
    Meine Mutter war eine hervorragende Fischköchin. Aus dem würzigen Sud, in dem sie den Karpfen blau kochte, bereitete sie unter Beifügung von passierter Fischleber und dem Rogen eine Suppe, die einfach delikat war. Heute mußte ich mich zum Essen zwingen, aber um recht unbefangen zu erscheinen, täuschte ich einen Appetit vor, der meine Mutter veranlaßte, mich anzusehen, als entdecke sie auf meiner Stirn das Kainszeichen eines Brudermordes. Und sie schluchzte auf: dieser unglaubliche Appetit nach solchen traurigen Ereignissen verrate eine Gemütsroheit, die ihr einfach unfaßbar sei. Und man könne einen so lieben Menschen wie Gertrud nur beglückwünschen, daß sich meine wahre Natur noch rechtzeitig offenbare!
    Der Ausbruch kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Mein Vater klopfte mit dem Griff des Fischmessers auf den Tisch und rief ärgerlich: »Mathilde!«
    Meine Mutter durchbrach mit ihrem Ausfall gegen mich nämlich nicht nur unsere Verabredung, sondern sie verstieß damit auch gegen einen streng geübten Tischbrauch. Seit mein Vater bei einem allzu angeregten Gespräch an der Gräte eines Hechtes einmal beinahe erstickt wäre, ging es bei uns, wenn Fischgerichte auf den Tisch kamen, wie im Refektorium eines Trappistenklosters zu.
    »Gut, Mama«, sagte ich sehr ruhig, aber auch sehr ernst und erhob mich, »wenn du nicht imstande bist, dich an unsere Abmachungen zu halten, dann zwingst du mich leider, daraus die Konsequenzen zu ziehen. Ich bin dir nicht böse, aber ich werde dir für einige Wochen keine Gelegenheit mehr geben, dich über mich
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