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Mein Onkel Ferdinand

Mein Onkel Ferdinand

Titel: Mein Onkel Ferdinand
Autoren: Horst Biernath
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aufzuregen. Auf Wiedersehen!«
    »Du treibst den Jungen wahrhaftig aus dem Hause!« schrie mein Vater und wollte mir nachstürzen. Aber er kam nicht weit. Mutter vertrat ihm den Weg.
    »Du wirst hierbleiben, Georg!« sagte sie scharf. »Und wenn du es nicht tust, verlasse ich dich für vier Wochen und gehe nach Travemünde.«
    Dahin war es also schon bei uns gekommen! Stunk in der Familie... Unfrieden im Haus. Womöglich gerieten sich meine Eltern noch in die Haare. Und alles wegen dieser verdammten Erbschaft. Es war wirklich widerwärtig, und ich ging sehr niedergeschlagen in mein kleines Zimmer hinüber.
    In meinem Zimmerchen aber saß Gertrud auf dem Hocker neben meinem Bett und wartete auf mich. Ich entsann mich, daß es während des Essens einmal geläutet hatte. Sie versuchten also, mich mit einem Komplott zu überrumpeln. Und Minna gehörte auch zu der Verschwörung!
    »Ich wollte euch nicht beim Essen stören«, sagte Gertrud ganz unbefangen und sah mir voll und treuherzig ins Gesicht, »deshalb hat Minna mich in dein Zimmer geführt. Du freust dich aber mächtig, wie? Willst du mir nicht wenigstens guten Tag sagen, wenn du mir schon keinen Kuß gibst?«
    »Hast du meinen Brief bekommen, Gertrud?«
    »Ich bin heute den ganzen Vormittag über bei Mister Graham gewesen, von neun bis zwölf, und ich komme jetzt direkt vom Hotel zu dir. Aber was soll das heißen, daß du mir geschrieben hast? War das nötig? Du scheinst eine Vorliebe für schriftliche Mitteilungen zu haben. Ich besinne mich, daß du mir schon einmal geschrieben hast. Hoffentlich war dieser Brief etwas freundlicher...«
    Sie schien die Absicht zu haben, mich nicht zu Wort kommen zu lassen und mich mit einem Redeschwall weich zu machen.
    »Meine Mutter war heute bei dir, nicht wahr? Gib es ruhig zu! Ich weiß es nämlich genau.«
    Gertrud zog die hübsch geschwungenen, dunklen Augenbrauen empor: »Wie merkwürdig du dich ausdrückst... Wie ein Untersuchungsrichter. Was ist dabei schon zuzugeben? Als ob ich dir etwas zu verbergen hätte! Natürlich war sie bei mir.«
    »Sie hatte mir fest versprochen, dich nicht aufzusuchen!«
    »Wann gab sie dir dieses Versprechen?«
    »Was soll das? Ich habe nicht auf die Uhr gesehen. Es war beim Frühstück. Es kann neun oder halb zehn gewesen sein...«
    »Dann hat sie ihr Versprechen gehalten. Sie war nämlich bereits morgens um acht bei mir, lange, bevor du ihr dieses blödsinnige Versprechen abgenommen hast.«
    So war das also gewesen... Nun, wenigstens konnte ich meinen Vater von dem Verdacht freisprechen, an dem Komplott gegen mich beteiligt gewesen zu sein.
    »Ich habe dich in meinem Brief gebeten, mir Zeit zu lassen und dir selber Zeit zu nehmen...«
    »Zeit wofür?« unterbrach mich Gertrud mit entwaffnender
    Naivität. Sie sah mich dabei an, als könnte sie nicht bis drei zählen.
    »Tu bitte nicht so, als ob du mich nicht ganz genau verstehst!« sagte ich heftig.
    »Schrei mich nicht so an, und entschuldige tausendmal, aber ich verstehe dich wirklich nicht.«
    Ich balancierte auf dem schmalen Randstreifen des rotgrundigen Veloursläufers, mit dem mein Zimmer ausgelegt war, zwei oder drei Schritte zum Fenster hin: »Du weißt genau, was ich meine! Du weißt genauso wie ich, daß die Voraussetzungen, unter denen wir uns verlobt haben, seit gestern völlig verändert sind...«
    »Ah, dich stört die Millionenbraut, nicht wahr?« fragte Gertrud ironisch. Sie zitierte damit den Titel eines ihrer gängigsten Bücher, den bekannten Roman von Alexander Dumas oder einem seiner zahlreichen Nachfolger.
    »Ja, mich stört die Millionenbraut!« sagte ich sehr ernst.
    Gertrud erhob sich rasch und trat so dicht vor mich hin, daß unsere Augen eine knappe Handbreite voneinander entfernt waren, und ich roch sogar den zart fruchtigen Geschmack ihres Lippenstiftes.
    »Hör mir gut zu, Hermann«, sagte sie eindringlich und blickte mir aus riesigen Pupillen gerade in die Augen, »ich verstehe durchaus, daß die Geschichte, die Graham uns gestern erzählt hat, dich genauso getroffen und betäubt hat wie mich. Ich habe die ganze Nacht gebraucht — trotz der Tablette, die Tante Otti mir zu schlucken gab —, um damit fertig zu werden, und ich bin offen gestanden noch immer ein wenig schwindelig im Kopf. Es wird eine Weile dauern, bis ich diese Überraschung verkrafte. Aber über unsere Beziehungen zueinander bin ich mir heute noch genauso klar wie gestern und vorgestern! Du sprichst davon, daß sich die Voraussetzungen
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