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Mein Onkel Ferdinand

Mein Onkel Ferdinand

Titel: Mein Onkel Ferdinand
Autoren: Horst Biernath
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durch die bevorstehende Eheschließung mit mir in glücklichen und gesicherten Verhältnissen zu wissen. Denn wenn die australischen Schlösser — so drückte er sich wörtlich aus — auch nicht gerade auf dem Monde lägen, so stünden dem Erbschaftsantritt doch manche Schwierigkeiten entgegen, so daß viele Monate vergehen könnten, ehe an eine Überführung des Vermögens nach Deutschland zu denken sei. Wir schieden freundschaftlich von dem alten Herrn, der nach Frankfurt fuhr, um dort das Flugzeug nach Paris zu nehmen, wo sein Bruder ihn erwartete.
    »Und ich habe jetzt noch zwei Urlaubstage«, sagte ich ein wenig schwermütig, als der Zug aus der Halle dampfte.
    Gertrud sah mich von der Seite an: »Es ist eine Gemeinheit«, seufzte sie, »da ist man nun Millionärin und so restlos pleite, daß nicht eine einzige Mark aus der Tasche fällt, wenn man mich schüttelt. — Aber, wir haben noch die hundert von Onkel Ferdinand. Und ich könnte zur Not auch Tante Otti anpumpen...«
    »Du bist ein tüchtiges Mädchen«, sagte ich hingerissen. »Und was hast du dann vor?«
    »Irgendwohin, in den Spessart, oder ins Fränkische, oder an den Bodensee... Ach, Hermann, ich möchte mit dir in Meersburg Blaufelchen essen und dazu rötlichen Schiller trinken, wäre das nicht etwas für uns beide?«
    »Wunderbar!« rief ich begeistert, »wir fahren! Wir fahren sofort! Wir mieten uns einen Zweisitzer und gondeln heute noch ab. Zum Bodensee und zu den Blaufelchen, blau und gebraten, und zum Schiller und zu den Bodenseeweinen. Und wenn du dir etwa einbildest, einen armen Mann zu heiraten, dann täuschst du dich, mein Herz. Der Papa hat einiges auf die hohe Kante gelegt. Es sollte ein nettes kleines Auto werden...«
    Gertrud rieb sich an mir wie eine Katze, sie schnurrte vor Vergnügen: »Jetzt möchte ich dich küssen, auf der Stelle!«
    »Und was hindert dich daran?«
    »Der Bahnsteig — die vielen Leute...!«
    »Nirgendwo kann man sich ungenierter küssen als auf Bahnsteigen. Das ist eine alte Erfahrung...«
    »Hör einmal!« sagte sie eifersüchtig und kniff mich tüchtig in den Ann, »ich will aber nicht haben, daß du deine alten Bahnsteigerfahrungen bei mir fortsetzt.«
    Aber bevor ich protestieren und Gertrud versichern konnte, daß meine Kenntnisse keine praktischen, sondern vom Kino bezogen seien, waren wir mit dem Menschenstrom, der den Bahnsteig nach der Abfahrt des Frankfurter Zuges verließ, bereits an die Sperre gespült. Und dort gab es eine Stockung. Und die Ursache für die Stockung war niemand anderer als mein Onkel Ferdinand, der wie ein Pfropfen den Ausgang versperrte, sich mit einer Hand an der Barriere festhielt und gegen den Strom stemmte, und mit der anderen heftig gestikulierend auf den Fahrkartenkontrolleur einschrie.
    Etwas Furchtbares schien geschehen zu sein. Onkel Ferdinand sah erbarmungswürdig aus. Die graue Melone saß schief und verbeult auf seinem Schädel, die Krawatte war auf die Seite gerutscht und hatte den Hemdkragen verfärbt, und der Schweiß rann ihm in hellen Bächen in den Hals.
    »Zwei Kerle!« hörten wir ihn brüllen, »ein kleiner Dicker mit 'ner blitzblauen Nase, und ein langer Dünner mit 'ner goldenen Brille und 'nem ganzen Gesicht voller Goldzähne!«
    Und wir hörten auch die Erwiderung des Kontrolleurs: hier gingen Hunderte von Leuten durch die Schranke, dicke und dünne, solche mit blauen und solche mit roten Nasen, und Onkel Ferdinand solle gefälligst den Durchgang freigeben, denn er sähe doch, daß die Leute hindurch wollten! Und wenn er noch so sehr schreie und tobe, er könne sich ums Platzen auf die beiden nicht besinnen, und überhaupt sei er Privatpersonen gegenüber zu gar keiner solchen Auskunft verpflichtet...
    Die Leute vor uns drängten gegen die Sperre und begannen zu schimpfen, und plötzlich wurde Onkel Ferdinand mitgerissen und verschwand für Sekunden im Gewühl. Aber er kämpfte sich schon wieder nach vom und hatte die Sperre fast erreicht, als wir unsere Bahnsteigkarten abgaben.
    »He, Onkel Ferdinand!« schrie ich ihm zu, »was ist mit dir los? Was ist geschehen?«
    Er starrte uns an, als müsse er sich wahrhaftig besinnen, wen er vor sich hätte.
    »Ach, du bist's, Hermann«, keuchte er und wischte sich mit einem großen, karierten Taschentuch den Schweiß von Stirn und Hals, »stellt euch vor, Kinder: die Schufte sind ausgerückt! Durchgebrannt! Übern Harz gegangen! Diese gemeinen Gangster! «
    »Wer?« fragte ich, »ich verstehe kein Wort!«
    Wir
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