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Mein Onkel Ferdinand

Mein Onkel Ferdinand

Titel: Mein Onkel Ferdinand
Autoren: Horst Biernath
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unserer Verlobung verändert haben. Das ist nicht wahr! Denn die Voraussetzung unserer Verlobung war, daß wir uns beide lieben. Ja oder nein? Antworte mir!«
    »Ja! Gewiß! Aber...«
    Gertrud hob die Hand wie ein Verkehrspolizist, der eine Wagenkolonne stoppt.
    »Ich habe eine einzige Frage an dich, Hermann. Und ich schwöre dir, daß ich gehe und dir nie mehr im Leben begegnen werde, wenn du sie mit einem klaren Nein beantwortest: Liebst du mich?«
    »Herrgott im Himmel...!« brach ich los.
    »Liebst du mich?!« fauchte sie mich an. Ihre Heftigkeit bei dieser zartesten aller Fragen war in diesem Augenblick alles andere als komisch.
    »Ja!!!« brüllte ich ihr ins Gesicht.
    »Na also!« meinte sie, augenblicklich besänftigt, »was willst du dann eigentlich noch? Was hat sich dann seit gestern zwischen uns verändert?« Sie zog mich an den Schultern zu sich heran und hob mir ihre Lippen entgegen. Aber sie wartete auf den Kuß vergebens.
    »Es hängt mir zum Halse heraus, hochtrabende Worte zu gebrauchen«, sagte ich gequält, »aber kannst du nicht verstehen, daß ich es meiner Selbstachtung schuldig bin, dich freizugeben? Ich verdiene neunhundert im Monat, und nach den Steuerabzügen bleiben mir keine siebenhundertfünfzig!«
    »Du bist ein Idiot«, sagte sie liebenswürdig, aber sehr nachdrücklich.
    »Auf dieses liebe Wort habe ich geradezu gewartet«, knurrte ich störrisch, »aber es zeigt mir nur, daß du mit deiner Weisheit zu Ende bist und innerlich längst eingesehen hast, was ich dir die ganze Zeit zu erklären versuche. Vielleicht hast du noch immer nicht begriffen, was diese Erbschaft für dich bedeutet. Es sind, falls es sich um australische Pfunde handelt...«
    »... es handelt sich um australische Pfunde!«
    »Es sind also eine Million und hunderttausend Mark darüber, die jetzt dir gehören...«
    »Unsinn!« fuhr sie mich an und schüttelte mich gehörig, »ich kann heilfroh sein, wenn mir sechshunderttausend Mark bleiben! Graham hat es mir ganz genau auseinandergesetzt. Die englischen Erbschaftssteuern sind enorm! Sie fressen die gute Hälfte des Vermögens weg. Und bilde dir ja nicht ein, daß unser Finanzamt nicht auch noch einen gehörigen Brocken davon schlucken wird!«
    »Entsetzlich«, höhnte ich, »es sind also lumpige fünfhunderttausend, die dir bleiben. Du wirst trockenes Brot würgen und dir aus alten Pullovern Kniewärmer stricken müssen...«
    »Sei nicht albern, Hermann!« sagte sie ärgerlich. »Aber vielleicht trägt es zu deiner Beruhigung bei, wenn ich dir sage, daß es Monate, ja, wahrscheinlich sogar länger als ein Jahr dauern wird, bis ich überhaupt an die Erbschaft herankomme. Du hast gestern selbst gehört, daß das Vermögen zu einem großen Teil fest angelegt ist und nicht von heute auf morgen flüssig gemacht werden kann.«
    »Schön, aber das ändert doch nichts an der Tatsache, daß du das Vermögen eines Tages besitzen wirst, früher oder später.«
    »Gott sei Dank!« sagte Gertrud aus vollem Herzen, »und ist das nicht wunderbar? Wir werden ein Haus und einen großen Garten haben, und schöne Möbel und gute Bilder, und ein riesiges Schwimmbassin und ein tolles Auto, und drei Hunde, einen Spaniel, einen Boxer und einen Bernhardiner, und wir werden reisen, und Freunde einladen, und erstklassige Sachen essen und trinken... Ach, Hermann, du wirst sehen, wie leicht wir mit der halben Million fertig werden. Aber das alles liegt ja noch so fern. Viel wichtiger ist mir im Augenblick, daß du mich liebst. Und du liebst mich doch...?«
    Ihre Hartnäckigkeit war lähmend. Ich zog es vor, nicht zu antworten und ihre Lippen zu übersehen. Gertrud ließ die Hände von meinen Schultern sinken, sie trat ans Fenster und preßte die Stirn gegen das Glas.
    »Ich könnte natürlich auch auf die Erbschaft verzichten«, sagte sie nachdenklich, »aber es wäre ein Blödsinn. Dazu müßte man wirklich hirnverbrannt sein. Weißt du, ich muß es dir schon gestehen, manchmal habe ich davon geträumt, einen sehr reichen Mann zu heiraten. Ich habe nämlich nie entdeckt, daß Reichtum schändet und daß Armut glücklich macht. Auf die Erbschaft verzichten? Nein, dazu bin ich viel zu geldgierig. Und wahrscheinlich würdest du mir selber davon abraten, oder?«
    »Natürlich! Es wäre heller Wahnsinn!«
    Gertrud stieß sich mit der Stirn von der Fensterscheibe ab und drehte sich um. Sie schob die Unterlippe vor und sah mich nachdenklich an: »Andererseits kann ich deine Bedenken verstehen.
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