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Mein Onkel Ferdinand

Mein Onkel Ferdinand

Titel: Mein Onkel Ferdinand
Autoren: Horst Biernath
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mich für seine Existenz verantwortlich. Als wäre er nicht der Schwager meines Vaters und ihr leiblicher Bruder, sondern eben mein Geschöpf. Aber so war es immer in der Familie, sobald von Onkel Ferdinand die Rede war — und es wurde ziemlich häufig über ihn gesprochen —, immer schob man ihn wie den Schwarzen Peter demjenigen zu, mit dem man sich gerade unterhielt.
    »Na und?« fragte ich ziemlich kaltblütig.
    »Diesesmal ist er in Brasilien Direktor von einem Wanderzirkus gewesen!« sagte sie mit zuckenden Lippen und mit verschleierter Stimme.
    »Immerhin Direktor!« meinte ich anerkennend und bemerkte erst an den hoch in die Stirn steigenden Augenbrauen meiner Mutter, daß dieser Hinweis sie nicht zu trösten schien.
    »Und nicht ganz nüchtern ist er auch...!« murmelte sie.
    Ah, wahrhaftig! Daß es mir erst jetzt auffiel! Gleich beim Betreten des Korridors hatte ich doch schon Onkel Ferdinands Spezialparfüm eingeschnuppert, einen holden und ganz zarten Duft nach feinem altem Jamaika-Rum, einen Duft, der ihn stets wie eine Aureole umschwebte.
    »Ist er total...?« fragte ich zartfühlend.
    »Das denn ja wohl nun doch nicht!« antwortete Mama mit einiger Schärfe und verfiel dabei, wie immer, wenn sie erregt war, in ihre lübische Mundart, die immer so ein bisserl durch die Nase gesprochen klingt.
    Ich wusch mir die Hände und verließ die Küche. Mutter folgte mir. Im Korridor fiel mein Blick auf die Garderobe. Und da hing sie wahr und wahrhaftig! Onkel Ferdinands schwarze Melone. Und auf dem Linoleumboden hatte sich ein kleiner See gebildet. — Meine Mutter schien meiner Blickrichtung gefolgt zu sein. Das lenkte ihre trüben Gedanken zwar nicht vom Gegenstand ihrer Betrachtungen ab, gab ihnen aber dafür eine andere Richtung und ein neues und erweitertes Blickfeld.
    »Jawohl!« fuhr sie voll zorniger Bitterkeit fort, »ohne Mantel ist er hier angerückt, bei dem Hundewetter! Und war dazu noch frivol genug, mir schamlos zu gestehen, daß er seinen Mantel versetzt habe. Auf einem Leihamt, Hermann!«
    Der Nachsatz klang merkwürdigerweise besonders empört, und ich fühlte mich verpflichtet, Mama zu erklären, daß Leihämter nun eben einmal der geeignete Platz zum Versetzen von Gegenständen aller Art wären. Aber meine Mutter achtete nicht auf meine Worte.
    »Und weißt du, weshalb?« fragte sie streng.
    »Dreimal will ich raten«, entgegnete ich liebenswürdig, »vielleicht, weil er Durst hatte...«
    »Um die Fahrkarte von Bremen zu uns lösen zu können!« zischte meine Mutter mir ins Ohr. »Dabei hat das Geld nur bis Fulda gereicht, und er hat den Rest des Weges teils zu Fuß und teils auf Lastwagen machen müssen, die ihn mitnahmen!«
    »Jetzt verstehe ich dich aber wirklich nicht, Mama«, sagte ich kopfschüttelnd. »Sei doch froh, daß er in Fulda keine Autodroschke auf eure Kosten genommen hat.«
    Meine Mutter sah mich starr an. Der Gedanke, daß Onkel Ferdinand auf diese einfache Lösung des Transportproblems hätte kommen können, schien sie nicht nur zu erschüttern, sondern auch mit einem gewissen Mißtrauen gegen mich zu erfüllen, als könne der Einfall, auf fremder Leute Kosten ein Taxi zu nehmen, nur einem Onkel Ferdinand innerlich verwandten Kopf entspringen. Unter dem forschenden Mutterauge wurde es mir ein wenig ungemütlich.
    »Wo ist Onkel Ferdinand eigentlich?« fragte ich.
    »Bei Vater«, antwortete sie. Ihr Gesicht bekam einen ängstlich lauschenden Ausdruck, als befürchte sie, es könnten in dieser Stunde in dem kühlen und stillen Arbeitszimmer meines Vaters bereits die schrecklichsten Dinge zur Wahrung der Familienehre geschehen sein. — Wir betraten gemeinsam den Wohnraum, der uns auch als Speisezimmer diente. Das Arbeitszimmer meines Vaters lag, durch eine doppelflügelige Schiebetür getrennt, nebenan. Es war der größte Raum der Wohnung, er barg auch meines Vaters Bibliothek, über dreitausend Bände, die in hohen Regalen an den Wänden standen. Mein Vater war Hochschullehrer. Er genoß als Wirtschaftswissenschaftler einen bedeutenden Ruf und hatte eine ganze Reihe dickleibiger und mir völlig unverständlicher Werke über die Entwicklung des Frühkapitalismus zur Zeit der Renaissance geschrieben.
    Von dem, was sich in diesen Minuten in seinem Zimmer abspielte, drang jedes Wort und jeder Laut deutlich zu uns herüber. Die Unterredung zwischen meinem Vater und Onkel Ferdinand schien übrigens gerade ihren dramatischen Höhepunkt erreicht zu haben.
    »Es ist eine Schande«,
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