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Mein Onkel Ferdinand

Mein Onkel Ferdinand

Titel: Mein Onkel Ferdinand
Autoren: Horst Biernath
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mich, »das Treppengeländer ist verdammt wackelig.«
    Ich tappte hinter ihm drein. Mich am Geländer festzuhalten wäre mir ohnehin unmöglich gewesen, da fast an jedem meiner Finger ein Päckchen baumelte. Wir hatten nämlich zwei Stunden lang in der Stadt Einkäufe gemacht. Im dritten Stockwerk, wo die Gerüche sämtlicher Küchen des Hauses zusammenströmten, hielt Onkel Ferdinand endlich an.
    Er entzündete ein Streichholz, und im Schein der rötlich aufzuckenden Flamme sah ich ein spiegelblankes Messingschild: Hermine Schmölzer, Oberbauratswitwe. Und darunter hing eine Papptafel, auf der sich jemand in Rundschrift geübt hatte. Onkel Ferdinand klopfte mit dem Finger dagegen und bemerkte nicht ohne Stolz: »Ja, mein Junge, und das also ist meine Firma!«
    Er entzündete ein zweites Streichholz, und ich las: >Detektei Greif, Inhaber Ferdinand Danckelmann<. Und darunter: >Auskünfte, Ermittlungen, Beobachtungen<. Und ganz unten in besonders sorgfältig ausgeführten Schriftzügen: >Schüler des weltberühmten Detektivs Nat Pinkerton in New York. Bitte zweimal kräftig läuten!«
    »Ein gutes Firmenschild ist das halbe Geschäft«, behauptete Onkel Ferdinand munter, während er die Tür auf sperrte und nach dem Lichtschalter tastete. Eine äußerst sparsame Birne flammte auf und beleuchtete einen schlauchartigen Korridor, der durch eine lange Reihe hoher Schränke so verstellt war, daß ein Mann mit normaler Schulterbreite sich nur in der Haltung altägyptischer Pharaonen hindurchzwängen konnte. Während wir uns durch diese enge Passage hindurchschoben, wurde linkerhand für einen Augenblick eine Tür geöffnet. Eine steinalte Frau in einem schlotternden Morgenrock musterte uns giftig und rief mit einer Stimme, die im ewigen Kampf mit Generationen von Untermietern schrill und schartig geworden war: die Flurbeleuchtung koste Geld und es wäre eine Unverschämtheit, das Licht am hellen Tage anzudrehen.
    »Eine reizende alte Dame...«, flüsterte ich.
    »Eine gräßliche Gewitterziege!« bestätigte Onkel Ferdinand so laut, daß mir der Schweiß aus allen Poren brach, »aber sie hat auch ihre guten Seiten, sie ist nämlich stocktaub.«
    Das »Institut Greif« bestand aus zwei Räumen. In der Kanzlei, wie Onkel Ferdinand das größere Zimmer hochtrabend nannte, standen zwei dunkelgebeizte offene Regale, auf deren Borden ein Dutzend Briefordner, ein unvollständiger Brockhaus vom Jahre 1880 und ein paar dickleibige Adreßbücher älteren Jahrgangs auf die rege Geschäftstätigkeit von Onkel Ferdinands Vorgänger schließen ließen.
    In der Mitte des Zimmers stand auf einem abgetretenen Teppich von der allerbilligsten Sorte ein gelber Schreibtisch mit zerkratzter Platte, dessen Kante überdies zahllose Brandspuren von abgelegten Zigarren erkennen ließ. Und von den beiden Stühlen, die das Mobiliar vervollständigten, war bei einem das Rohrgeflecht durchgebrochen und hing in der Mitte melancholisch wie ein schütterer schmutzigblonder Bart zum Boden herab. Der Nebenraum war ein finsteres, muffiges Kabuff, in dem ein Waschständer aus Eisenrohr und ein altes Feldbett gerade Platz fanden.
    Das war die ganze Einrichtung des >Weltunternehmens«, und ich sah sie mir eine Weile lang stumm wie ein Fisch an. Onkel Ferdinand aber schien mein Schweigen für einen Ausdruck innerer Ergriffenheit zu halten, denn er rieb sich die Hände und dröhnte: »Na, mein Junge, was sagst du nun? Feine Sache, was?! Ein richtig gemütliches Plätzchen zum Arbeiten wie? Nach so etwas habe ich mich seit Jahren gesehnt. Denn, weiß der Teufel, aber so verlockend und bunt die weite Welt mit ihren Abenteuern auch sein mag —, wenn man ein wenig älter wird, geht doch nichts über eine ruhige, solide, bürgerliche Existenz!«
    Ich hörte mir die schrecklichen Tiraden unbewegt an.
    »Und für diese grauenhafte Bruchbude hast du fünfhundert bare Mark hingelegt?« fragte ich schließlich erschüttert.
    Onkel Ferdinand sah mich richtig erschrocken an.
    »Du hältst mich doch hoffentlich nicht für einen kompletten Narren, Hermann!« rief er empört. »Aber ich nehme dir deine dumme Frage auch nicht weiter übel, mein Junge. Du hast eben noch keine Ahnung von der Technik des Pumpens. Sieh einmal, Hermännchen, was hätte dein guter Vater wohl gesagt, wenn ich ihm erzählt hätte, ich könne mir eine Existenz für zweihundert lumpige Radieschen aufbauen? Nun? Sag's selber...!«
    Ich schwieg taktvoll.
    »Sehr richtig!« bemerkte Onkel Ferdinand und freute
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