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Mein Offizier und Gentleman

Mein Offizier und Gentleman

Titel: Mein Offizier und Gentleman
Autoren: ANNE HERRIES
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möchte.
    Solange der Tanz dauerte, gestattete sie sich, der Wirklichkeit entrissen in seinen Armen über das Parkett zu schweben. Bisher hatte sie weder Begierde noch Leidenschaft gekannt, hatte höchstens von nahen Verwandten oder Freundinnen einen Kuss auf die Wange empfangen, doch nun spürte sie tief in sich ein uraltes weibliches Verlangen, ein Bedürfnis, dessen Vorhandensein sie bis zu diesem Augenblick nicht einmal erahnt hatte.
    Sie wünschte, der Tanz möge ewig dauern, wünschte, dieses wunderbare Erlebnis möge nie enden, doch nur zu schnell war es vorbei, und die Gäste strömten zu den Dinnertischen.
    „Möchten Sie etwas essen, Miss Horne?“, fragte Jack, doch in diesem Moment näherte sich Lucys Mutter.
    „Nun, mein Liebes, wie schön, dich so froh zu sehen. Willst du mir bitte helfen, mich von diesem wunderbaren Buffet, das Marianne herrichten ließ, zu bedienen?“
    Entschuldigend sah Lucy ihren Tanzpartner an. Zu gern hätte sie mit ihm zusammen gespeist, doch sie konnte ihrer Mutter schlecht die Bitte abschlagen. Er neigte verstehend den Kopf, und sie dankte ihm für den Tanz und folgte ihrer Mutter. Als jedoch die jungen Leute, mit denen sie zuvor beisammen gewesen war, sie an ihren Tisch baten, sagte Mrs. Horne zu Lucys Verwunderung: „Ach, Kind, geh nur. Du brauchst mir nicht zu helfen, Jo macht das sicher gern.“
    Ein wenig verwirrt fragte Lucy sich, warum ihre Mutter zuerst auf ihre Begleitung gedrängt hatte, wenn sie sie eine Minute später entließ. Während sie sich zu den jungen Leuten gesellte, hoffte sie sehr, Lord Harcourt werde nicht gekränkt sein. Kurze Zeit später sah sie mit Bedauern, dass er mit Miss Tremaine am Buffet stand und lachend deren Konversation folgte. Zu gern hätte sie das Dinner mit Lord Harcourt eingenommen.
    „Stimmt etwas nicht, Miss Lucy?“
    Sie wandte sich dem attraktiven blonden Herrn von etwa zwanzig Jahren zu, der sie angesprochen hatte.
    „Nein, danke, Mr. Tristram, nur erinnerte ich mich gerade an etwas, nichts von Bedeutung.“ Mit strahlendem Lächeln fuhr sie fort: „Gefällt Ihnen der Ball?“
    „Ja“, sagte er, indem er ein wenig errötete, „mehr als ich dachte. Wissen Sie, diese ländlichen Tanzvergnügen sind oft recht langweilig – aber dass Sie hier sind, ändert natürlich alles.“
    „Oh …“, sagte Lucy verlegen. „Wie freundlich Sie sind! Aber ich verstehe nicht, wie meine Anwesenheit das bewirken kann.“
    „Nein?“ Er grinste schelmisch. „Nein, wohl wirklich nicht. Ich glaube, Sie wissen gar nicht, wie schön Sie sind.“
    „Schön?“ Lucys Lachen klang hell wie Feengeläut. „Nein, Sir, das meinen Sie nicht ernst. Man sagte mir, dass ich hübsch bin, aber schön …“ Sie schaute zu Miss Tremaine hinüber. „Sehen Sie, Sie ist schön.“
    John Tristram folgte Lucys Blick. Grübelnd sagte er: „Ja, sie ist bemerkenswert, nur geht ihre Schönheit nicht über das Äußere hinaus. Sie ist ein wenig seicht, wohingegen Sie …“ Er brach ab, als er sah, dass Lucy die Stirn runzelte. „Ich habe Sie hoffentlich nicht beleidigt, Miss Lucy?“
    „Nein, natürlich nicht“, antwortete Lucy und krauste ihr reizendes Näschen. „Ist sie seicht? Vielleicht sind Sie ein wenig zu kritisch, Mr. Tristram.“
    „Mag sein – ich hätte es besser nicht erwähnen sollen. Aber meiner Meinung nach kann Sie Ihnen nicht das Wasser reichen.“
    „Ach … wie nett von Ihnen, das zu sagen.“ Lucy strahlte ihn an. „Ich komme mir in Miss Tremaines Gegenwart ein wenig linkisch vor; sie wirkt so geistreich, so … lebhaft.“
    „Ja, geistreich ist sie“, gab er zu, „aber oft auf Kosten anderer, was ich für grausam halte. Sie, Miss Lucy, würden nie grausam sein.“
    Er sah sie beinahe anbetend an, sodass Lucy errötend den Blick abwandte. Ablenkend fragte sie: „Sagen Sie, Mr. Tristram, gewiss jagen Sie doch?“, da dieses Thema fast jeden Herrn interessierte. Es wirkte auch hier, und eine ganze Weile ergötzte der junge Mann sie nun mit Jagdgeschichten.
    Nach und nach bevölkerte sich der Ballsaal wieder. Auch bei Lucy forderten verschiedene Herren ihre Tänze ein, darunter Drew, und als Nächster stand Hal Beverley auf ihrer Tanzkarte. Als sie sich endlich als eine der Letzten zurückzog, sah sie Lord Harcourt und Miss Tremaine im Wintergarten stehen, und ihre Stimmung verdüsterte sich, denn zwischen den beiden schien ein gewisses Einvernehmen zu herrschen.
    Lucy verdrängte den Schmerz, der sich in ihrer Brust ausbreitete.
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