Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Leben im Schrebergarten

Mein Leben im Schrebergarten

Titel: Mein Leben im Schrebergarten
Autoren: Wladimir Kaminer
Vom Netzwerk:
Bürgermeister ist zum Beispiel Bienenzüchter, deswegen ist Moskau bis zur Kante voll mit Honig, und zweimal im Jahr gibt es zusätzliche Honigverkaufsmessen. Anstatt seine mit Schweiß und Fleiß verdienten Milliarden für teure Yachten, international bekannte Fußballspieler oder für Julia Roberts auszugeben, finanziert der Bürgermeister aus seiner eigenen Tasche Bienenzüchterkongresse. Er entwickelt neue ovale Bienenstöcke mit verbesserter Innenraumaufteilung und setzt sich vehement für der Erhalt der russischen Bienenkönigin ein, die er zärtlich »die Russin« nennt. Egal, zu welchem Anlass der Bürgermeister eine Rede zu halten hat, früher oder später kommt er immer auf Bienen zu sprechen.
    »In der letzten Zeit werden die Russinnen stark vernachlässigt. Viele wollen sie nicht haben. Man beschwert sich, sie würden zu laut summen und zu langsam fliegen«, erklärte der Bürgermeister neulich einem Politmagazin in einem Interview zum Thema Nahostkonflikt. »Die Russinnen bringen angeblich weniger Honig und stechen häufiger. Deswegen entscheiden sich viele für die graue kaukasische. Die sei fleißig, schnell, robust und steche nicht. Wer so etwas sagt, hat nichts aus der Geschichte gelernt! Die Russin muss erhalten bleiben«, und so weiter. Über die Staaten bildenden Bienen kann der Bürgermeister stundenlang reden, ähnlich wie Fidel Castro früher über den Sozialismus. Und beide haben ja auch viel gemeinsam. Die Folge seiner Macke ist: Alle Moskauer kennen sich inzwischen im Imkerwesen aus, die Bienen werden als Menschenfreunde wahrgenommen und haben immer freien Flug über Moskau.
    Nicht in jedem Land können sich Bienen eines solchen süßen Lebens erfreuen. Auf Island zum Beispiel sterben sie jedes Jahr aus. Der isländische Imkerverein gibt trotzdem nicht auf und importiert sie immer wieder aufs Neue. Die neuen Völker aus Norwegen bringen es gerade noch auf zehn Kilo Honig in der Saison, bevor sie den Löffel abgeben. Die Bienen sind auf Island aber nicht nur kurzlebig, sondern auch sehr aggressiv. Wahrscheinlich weil sie sauer sind, dass man sie aus dem sonnigen Norwegen an einen solch trostlosen Ort verschleppt hat, wo sie keine Überlebenschance haben.
    Dafür haben die Hummeln, die nur einen Sommerstaat bilden, diese Insel buchstäblich erobert. Letztes Jahr habe ich dort besonders viele Hummeln gesehen, auf jeder Blume saß mindestens ein Dutzend. Ich besuchte die Insel auf Einladung des  Edda -Verlags, der mein erstes Buch auf Isländisch veröffentlicht hatte. Mit Frau, Freund und Verleger gingen wir durch Reykjavik spazieren. Die Einheimischen gaben sich große Mühe, um ihre von den Wikingern abgeholzte Insel in eine grüne Oase zurückzuverwandeln. Sie legten große Blumenbeete an und pflanzten jedes Jahr acht Millionen Bäume, wie mein isländischer Verleger Kristján Bjarki Jónasson behauptete.
    Es wehte ein starker Nordwind, daher waren weder Schmetterlinge noch Libellen oder Bienen zu sehen. Auch die Menschen gingen an diesem Tag in Reykjavik nicht ohne Not auf die Straße. Nur der verrückt gewordene Schachweltmeister Bobby Fischer, der in Island politisches Asyl bekommen hat, saß mit Schachbrett und einem Radioweltempfänger vor dem größten Antiquariat der Insel, und Hummeln in rauen Mengen schwebten über seltene Blumen am Straßenrand. Bobby Fischer und die Hummeln, beide waren auf Island neu.
    Der Schachweltmeister war aus einem japanischen Gefängnis nach Island gekommen. Er hatte gegen das von Amerika gegenüber Jugoslawien verhängte Handelsembargo verstoßen, indem er in Belgrad noch einmal gegen Boris Spasski Schach gespielt hatte. Dabei hatte er viel Geld gewonnen. Als die Amerikaner ihn vor ein Gericht stellen wollten, tauchte er erst in Jugoslawien unter und floh dann nach Japan, wo er eine Frau kennenlernte, die er heiratete. Als sein Visum abgelaufen war, kam er in den Knast. Ihm drohte die Auslieferung. Das uralte Schachland Island – angeblich sollen die Vorfahren der Isländer schon zu Zeiten der Edda-Sage Schach gespielt haben – rettete ihn, indem es Fischer politisches Asyl anbot. Seitdem lebt er in Reykjavik, wo ihn inzwischen jeder kennt und grüßt.
    Wie die Hummeln nach Island kamen, ist dagegen noch nicht so klar: Wahrscheinlich mit den ersten Siedlern – es brauchte dazu ja nur eine befruchtete Hummelkönigin. Die Isländer waren ansonsten an Insekten nicht gewöhnt, meinte Kristján Bjarki Jónasson. Sie fühlten sich oft von Hummeln
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher