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Mein Leben im Schrebergarten

Mein Leben im Schrebergarten

Titel: Mein Leben im Schrebergarten
Autoren: Wladimir Kaminer
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seither in vollkommener Illegalität, jenseits von Gut und Böse.
    Bei der Generalversammlung musste auch ein neuer Fachberater gewählt werden, nachdem der alte aus gesundheitlichen Gründen gekündigt hatte. Einige Gartenfreunde hatten aber anscheinend mit dem Scheidenden noch eine Rechnung offen.
    »Als ich Sie gefragt habe, ob ich neben meinen Zierapfel die Uschirose pflanzen darf, haben Sie mich abgewiesen!« , rief ein Gartenfreund laut.
    »Lassen Sie das bitte«, verteidigte sich der Exfachberater, »Sie haben gar keinen Zierapfel in Ihrem Garten. Ich habe Ihnen das schon mehrmals gesagt. Was Sie für einen Zierapfel halten, ist ein Weißdorn – die Pflanzen sind sich nicht einmal ähnlich!«
    »Erzählen Sie mir nicht, was ich in meinem Garten habe! Was sind Sie denn für ein Experte, der einen Zierapfel nicht von einem Weißdorn unterscheiden kann!«
    »Lassen Sie das!« Der Exfachberater bekam einen nervösen Tick. »Sie haben keinen Zierapfel, haben nie einen gehabt, werden auch nie einen haben. Sie haben nur Weißdorn! Weißdorn! Weißdorn!«
    »Zierapfel!«, tönte es aus dem Saal.
    Ein Mann in schwarzer Jacke kam auf die Bühne, er hielt einen zerschnittenen Müllsack in der Hand. Es stellte sich heraus, dass nicht alle Gartenfreunde Mülltonnen im Garten besaßen wie wir. Viele hatten bisher spezielle Laubmüllsäcke benutzt, die sie sich bei der BSR – unserem Umweltdienst – besorgt hatten. Der Mann mit der schwarzen Jacke hatte sich die Mühe gemacht, die Müllsäcke Jahr für Jahr zu vermessen und dabei Folgendes entdeckt: Die Laubmüllsäcke waren dieses Jahr zwölf Zentimeter kürzer als im Jahr davor, wurden aber von der BSR zum gleichen Preis verkauft. Das roch nach einem Müllkrieg. Der anwesende Vertreter der BSR war anscheinend gut mit Militärtaktik vertraut, hatte Clausewitz und Suworow gelesen und wusste, dass manchmal eine Attacke die beste Verteidigung ist. Er ging gleich auf die Bühne, schlug mit seinem Schuh auf das Pult und sagte, die Gartenfreunde sollten überhaupt froh sein, dass die BSR ihre Laubsäcke überhaupt noch abholte, während die übrige Welt schon längst auf moderne Mülltonnen umgestiegen sei. Statt die Müllsäcke jedes Jahr zu vermessen, sollten sie lieber an die Zukunft der ganzen Welt denken, die sie jetzt schon mit ihren Säcken zuzumüllen versuchten.
    Es wurden eine gemeinsame Resolution sowie eine Absichtserklärung verabschiedet, wonach eine weitere Zusammenarbeit mit der Müllabfuhr angestrebt, gleichzeitig aber deren Politik der verkürzten Müllsäcke scharf kritisiert wurde. Der Vorsitzende im roten Pullover schaffte es, mit einem einzigen Satz die Situation immer wieder zu entschärfen. »Dit bringt jar nischt«, erklärte er und erntete stets Applaus von allen Seiten.
    Nach vier Stunden im Konferenzraum waren alle Gartenfreunde fix und fertig und wollten bloß noch nach Hause. Plötzlich sprang ein mir unbekannter Gartenfreund auf die Bühne und forderte den Vorstand laut auf, sich bei ihm zu entschuldigen. Sein Vorzeigegarten war bei der letzten Begehung verleumdet, falsch kritisiert und öffentlich als unaufgeräumt und verwildert angeprangert worden. Dahinter sah er den bösen Willen des Vorstandchefs und wollte nun, dass der ganze Vorstand zu Kreuze kroch. Die Versammlung war aber nicht mehr in der Lage, sich mit Problemen einzelner Parzellen zu beschäftigen.
    »Machen Sie hier nicht auf dicke Mücke!«, rief ihm der Vorsitzende zu. »Dit bringt jar nischt! Die letzte Begehung war doch vor drei Monaten. Dit kann jeder: seinen Garten aufräumen und danach behaupten, dit wär schon immer so jewesen!«
    Die Gartenfreunde hatten derweil den Konferenzraum verlassen. Wir gingen noch ein letztes Mal in den Garten, um die Gartenmöbel wegzuräumen. Familien mit Kleinkindern, ältere und jüngere Ehepaare, Männer in Gummistiefeln und Frauen mit Kinderwagen zogen an unserem neuen Zaun vorbei. »Und? Haben Sie noch Äpfel?«, fragten einige. Wir hatten noch ein paar und gaben sie gern weiter. Ich wollte noch nicht nach Hause. Mit Herrn Kern, Herrn Grass, Frau Krause und ihrem Mann saßen wir vor unserer Parzelle, tranken Bier und von Günther mitgebrachten Johannisbeerschnaps. Schnell wurden wir berauscht. Das Leben kann so schön sein, wenn man sich einfügt in die Natur, dachte ich. Ohne Versammlungen, ohne Misstrauen, ohne diese ständigen gegenseitigen Gartenbegehungen. Entspannt saßen wir vor unserer Laube und tranken, tranken, tranken
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