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Mein Leben im Schrebergarten

Mein Leben im Schrebergarten

Titel: Mein Leben im Schrebergarten
Autoren: Wladimir Kaminer
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vor zwanzig Jahren im Garten ihrer Oma vom Baum holte, ist in ihrem Kopf fest stecken geblieben. »Obst, das nicht aus der Kaufhalle, sondern von Bäumen kommt, blühende Kirschen, Apfelbäume, Natur«, träumte sie. Ich unterstützte sie in ihren Träumen, hoffte aber insgeheim, dass wir den Garten nicht bekämen.
    Die Leiterin der Aufnahmestelle des Kleingartenvereins, Frau Engel, machte mir Hoffnung. Auf unsere Frage nach den durchschnittlichen Wartezeiten sagte sie, das könne Jahre dauern. Die »Glücklichen Hütten« waren voll, und niemand hatte die Absicht, seinen Buddelkasten unseretwegen aufzugeben.
    »Wir werden natürlich nicht wie diese Verrückten jedes Gräslein persönlich umgraben«, träumte meine Frau weiter. »Wir werden uns hübsche Gartenmöbel besorgen und eine Grillanlage im Garten aufstellen. Dann Freunde einladen, zwischen den Rosen sitzen und feiern. Und im August werden wir das Obst ernten und Konfitüre einkochen.«
    In ihrem Traum saß sie bereits mit einem großen Hut im Garten, drumherum summten die Hummeln, und die Erde blühte vor ihren Füßen. Ihr Optimismus in dieser Sache gab mir zu denken. Ich wusste aus Erfahrung: Wenn meine Frau sich etwas in den Kopf gesetzt hat, wurde es früher oder später Realität. Olga hatte im  Obi -Katalog bereits die Gartenmöbel gefunden, die zu unserem nicht existierenden Grundstück passten. Was soll’s?, dachte ich, ich weiß von Schriftstellern, die ihre Werke im Wald geschrieben haben, auf einem Schiff, sogar auf einem Eisberg. Man kann bestimmt auch in einer Schrebergartenkolonie gut leben und arbeiten. Hauptsache, es gibt dort eine Steckdose.
    Es geschah an einem herbstlichen Nachmittag, genau genommen am 14.182sten Nachmittag meines Lebens. Ich saß gemütlich vor dem Fernseher, das ZDF brachte eine spannende Dokumentation über das Leben der Weinbergschnecken-Züchter in Frankreich, als plötzlich das Telefon klingelte. Eine unbekannte Frauenstimme verlangte von mir irgendetwas Unverständliches auf Amtsdeutsch: Es ging um den Antrag beziehungsweise Pachtvertrag beim Bezirksverband der Kleingärtner. Ob ich ihn schon gestellt hätte?
    »Nein, tut mir leid, Sie haben sich verwählt«, sagte ich und legte schnell auf. Meine Frau kam aus der Küche. Sie wollte wissen, wer da gerade angerufen habe. Keine Ahnung, falsch verbunden, beruhigte ich sie. Zwei Minuten später klingelte das Telefon erneut. Diesmal nahm meine Frau ab. »Hurra!«, rief sie nach einem kurzen Telefonat, »Frau Engel hat einen Schrebergarten anzubieten! Sie lädt uns zu einem Besichtigungstermin ein, am nächsten Samstag um acht Uhr früh!« »Am Sonntag um sieben wäre noch besser«, konterte ich. Doch mein Gift konnte nichts mehr bewirken. Langsam, aber sicher steuerte unsere Familie auf die »Glücklichen Hütten« zu. Kleingärtner, aufgepasst, die Russen kommen!
    Am Samstag regnete es. Im Vereinsgebäude, das wie ein DDR-Museum aussah, tranken zwei Frührentner ihren Kaffee. An der Tür hing ein Plakat – Männer, die aussahen wie Frauen. Es war eine Ankündigung: Im Vereinsgebäude der Kleingartenkolonie sollte demnächst ein Transvestiten-Kabarett stattfinden, und zwar am Vormittag. Warum nicht?, dachte ich. Zu dieser frühen Stunde konnte mich nichts wundern. Frau Engel begrüßte uns wie alte Freunde. Sie hatte tatsächlich etwas für uns. Genau genommen hatte sie sogar drei Gärten anzubieten, gegen einen geringen Abstand selbstverständlich. Ein paar Kleingärtner hatten sich anscheinend überangestrengt und waren gestorben oder weitergezogen, um neue Gartenkolonien zu gründen.
    Nach dem Kaffee gingen wir uns die Grundstücke anschauen. Das erste sah nach unberührter Natur aus: ein kleiner schmuddeliger Dschungel mit einer Holzhütte für Onkel Tom in der Mitte. Kein Strom, kein Wasser, keine Rosen, nur Lianen überall. Das zweite Grundstück war uns zu groß und voller Gemüse, mit seinen Kartoffelbeeten konnte man ein ganzes Dorf satt kriegen. Das dritte hatte ein Schild am Gartentor:  Fa. Pflaume. Parzelle 118 . Frau Pflaume, eine Mittfünfzigerin mit Dauerwelle und Brille, wartete mit einer Harke in der Hand am Zaun auf uns. Der Mann von Frau Pflaume sei vor Kurzem gestorben, erzählte uns Frau Engel auf dem Weg zum Grundstück, die Kinder seien schon groß und weggezogen. Sie selbst habe keine Kraft, allein den Garten zu bestellen.
    Schon von Weitem sah man, dass dieses Grundstück lange Zeit den Hauptfamilienschatz der Familie Pflaume darstellte. Auf
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