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Mein Leben im Schrebergarten

Mein Leben im Schrebergarten

Titel: Mein Leben im Schrebergarten
Autoren: Wladimir Kaminer
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einer relativ kleinen Fläche von zweihundertvierzehn Quadratmetern hatten hier zwei Menschen versucht, das Paradies im Maßstab 1:1 000 000 auf Erden zu errichten, und das mit Erfolg. Ich wagte kaum, mich zu bewegen. Ein falscher Schritt, und schon hatte man eine Schönheit der Natur plattgemacht. Auf Zehenspitzen liefen wir von einer Ecke des Gartens zur anderen. Freunde hatten uns im Vorfeld gewarnt, nicht gleich Ja zu sagen, falls uns irgendein Grundstück gefiel. Man müsste immer erst einmal etwas kritisieren, abwertende Bemerkungen über den Zustand des Gartens machen und die Anpflanzungen zusammenzählen, um Professionalität zu zeigen und die Abschlagszahlung zu drücken. Wir benahmen uns jedoch wie blutige Anfänger, die sich sofort in das Grundstück verliebt hatten. Schon beim ersten Anblick waren meine Frau und ich uns einig, dass wir dieses Paradies Nr. 118 gerne übernehmen würden.
    Auf dem Grundstück stand ein Steinhäuschen mit einem Hochbett, einem Kühlschrank und einer Kaffeemaschine. Wasser und Strom waren vorhanden, an den Wänden hingen alte DDR-Poster. Hinter dem Haus befand sich noch ein abschließbarer Raum, vollgestopft mit landwirtschaftlichen Geräten, deren Zweck mir einstweilen noch unklar war. Manches, was dort an der Wand hing, erinnerte an mittelalterliches Folterwerkzeug.
    »Das meiste werden wir gar nicht brauchen«, beruhigte mich meine Frau. »Und wenn schon, dann nur ab und zu mal, zum Spaß. Wir wollen doch keine Bauern werden. Unsere Werkzeuge sind bequeme Gartenmöbel und ein Grill – damit werden wir dieses Paradies perfekt machen«, flüsterte sie mir ins Ohr, während wir mit ernsten Gesichtern weiter im Kreis liefen und jede Ecke inspizierten. Dabei sagten wir zur Tarnung laut »Ah!« und »Oh!«, um bei Frau Pflaume und Frau Engel ein bisschen Eindruck zu machen. In Wirklichkeit hatten wir nicht die geringste Ahnung von den ganzen Pflanzen, wir wussten nicht einmal, wie sie überhaupt auf Deutsch hießen. Ehrlich gesagt wüsste ich nicht einmal die russischen Namen all dieser Pflanzen, außer von Rosen und Tulpen.
    Frau Engel stand die ganze Zeit in der Mitte und redete mit uns Kleingartendeutsch, um das Grundstück aufzuwerten. Frau Pflaume stand neben ihr und schwieg. Sie sah auf die Erde oder blickte zum Himmel, so als würden wir, die Eindringlinge, sie gar nicht interessieren. Hinter dem Haus stand eine Biotoilette. Um nicht ganz als Gartendepp dazustehen, versuchte ich, Frau Engel in ein Gespräch über Biotoiletten zu verwickeln. Besser, als gar nichts zu sagen, dachte ich. Eine Diskussion über Bäume traute ich mir nicht zu.
    »Sie müssen eine chemische Flüssigkeit in die untere Kassette der Toilette gießen«, empfahl Frau Engel.
    »Und dann?«, ließ ich nicht locker. »Was mache ich, wenn die untere Kassette voll ist? Das Zeug kann sich doch nicht in Luft auflösen. Werden die Kassetten ausgetauscht? Von einem Biotoilettendienst abgeholt? Oder darf man den Inhalt als eine Art selbst erzeugten Naturdünger im eigenen Garten einsetzen?«
    Bei der letzten Frage erntete ich einen Blick voller Misstrauen, der meine Kleingartentauglichkeit bei null einfror. Frau Pflaume schaute uns zum ersten Mal an. Die herbstliche Sonne blinkte in ihrem Brillengestell. Es sah so aus, als würde Frau Pflaume weinen. Wir sagten sofort Ja zum Grundstück und versprachen, uns um die Blumen und das Häuschen zu kümmern, dann unterschrieben wir und bezahlten. Mir tat Frau Pflaume leid. Ich wusste nicht, weswegen sie geweint hatte. Wegen ihres verstorbenen Mannes, wegen ihrer Lieblingsblumen, wegen uns, oder war es nur die Sonne, die ihr eine Träne hinter die Brille gezaubert hatte? Vielleicht war es eine Träne der Erleichterung? Auf jeden Fall hatten wir Mitleid mit ihr. Sie hatte hier dreißig Jahre lang geschuftet, wir dagegen wollten nur in Ruhe grillen.
    Zu Hause blätterte ich das Übergabeprotokoll durch. Ich wollte mir endlich ein Bild von dem machen, was wir gerade eben gekauft hatten. Laut Unterlagen war ich nun glücklicher Besitzer einer alten, innen und außen verputzten Steinlaube. Das war schon mal gut. Weiter stand da, das Satteldach müsste erneuert und mit Pappe bedeckt werden, die Fundamente wären nicht frostfrei gegründet, es gäbe Wasserschäden in der Vorlaube, und der Zaun wäre verrostet. Das hörte sich alles nicht gut an. Dafür hatte ich einen Kompostbehälter aus Holz und siebenundvierzig Meter Maschendraht geerbt. In meinem Garten wuchsen sechs
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