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Mein Leben im Schrebergarten

Mein Leben im Schrebergarten

Titel: Mein Leben im Schrebergarten
Autoren: Wladimir Kaminer
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Apfelbäume, eine Birne, eine Pflaume, mehrere Süß- und Sauerkirschen, Rhabarber, Rhododendron, eine mir völlig unbekannte Forsythie und eine Yuccapalme, die wir wahrscheinlich übersehen hatten. Außerdem Mandelbäumchen, Pfingstrosen, Buschrosen, Farne, Johannisbeeren, Erdbeeren und Stachelbeeren! Diese ganze Pflanzenbande war ab sofort auf uns angewiesen, auf unsere Unterstützung, unser Mitwirken, unsere Gartenarbeit. Meine Vorlaube musste dringend renoviert werden. Schwarze Gedanken gingen mir durch den Kopf… Mensch, worauf hast du dich da eingelassen? Ein Schrebergarten! Eine solche Verantwortung! Konntest du denn nicht weiter wie alle normalen Leute am Falk-Platz grillen? Meine innere Stimme quälte mich bis tief in die Nacht. Ich träumte von Obst – viel Obst.
    Im bald darauf beginnenden Winter besuchten wir unseren Garten nur drei Mal. Einmal, um die Wasseruhren auszuwechseln, und zweimal einfach so, um zu sehen, wie es unseren Bäumen ging. Auf dem Häuschen lag eine dicke Schneeschicht, und ich machte mir Sorgen, ob das Dach bis zum Frühling durchhielt. Zweimal heizte ich den Ofen, um den modrigen Schimmelgeruch aus der Bude zu kriegen. Der Schrebergarten spendete im Winter keinen Trost. Die Pflanzen sahen allesamt tot aus. Ich bereitete mich bereits innerlich auf den Frühling vor. Als Erstes wollte ich den Stacheldraht entsorgen, dieses Überbleibsel des Totalitarismus, dann eine neue Gartentür montieren, das Dach erneuern, ein paar Rosen umpflanzen und dann grillen. Ich suchte und fand in meinem Umfeld einige Freiwillige, die bereit waren, mir dabei zu helfen. Im März sollte die Arbeit losgehen, doch der Frühling ließ auf sich warten.
    Auch Ende März lag noch Schnee auf dem Dach, die Kinder fuhren im Mauerpark Schlitten. Der Winter schien endlos. Opa Frost wollte seine Stellung nicht aufgeben, wahrscheinlich aus purer Schadenfreude, um frischgebackene Schrebergartenbesitzer zu quälen.
    »Das ist eine Naturkatastrophe, wo bleibt denn nun die globale Erwärmung?«, schimpfte meine Frau.
    Eines Tages im April wurden wir von Vogelgesang geweckt, die Sonne strahlte kräftig durch die Gardinen, draußen klingelten Fahrräder, Hunde bellten, der Frühling war da. Für den ersten warmen Sonntag beschlossen wir, eine Einweihungsparty in unserem Garten zu feiern – nur für die engsten Familienmitglieder, keine Gäste, damit uns nicht gleich das ganze frische Gras niedergetrampelt wurde.
    Die ersten Insekten summten bereits in der Luft, die ersten Kleingärtnerhintern hingen über den Beeten. Die Gartenmöbel, die meine Frau per Katalog bestellt hatte, passten knapp in unseren kleinen Garten. Meine Eltern, meine Schwiegermutter sowie unsere beiden Kinder waren vom Schrebergarten begeistert, auch wenn sie sich das nicht anmerken ließen. Meine Frau stellte ihnen jede Pflanze einzeln vor.
    »Hier sind die Rosen«, sagte sie, »und das da ist eine Sauerkirsche.«
    »Und diese kleinen blauen Blümchen?«, fragte meine Mutter.
    Tatsächlich waren gleich neben dem Zaun inzwischen viele kleine blaue Blümchen aus der Erde gekommen, die nicht im Übergabeprotokoll vermerkt waren. Niemand von uns wusste, wie sie heißen.
    »Das sind Feldblumen«, behauptete meine Frau, »die gibt es überall. Sie heißen ›Vergiss mich‹ oder so ähnlich.«
    Die Kinder bauten sich aus zwei muffigen Matratzen ein Zelt neben der Biotoilette und spielten einsame Insel. Unser erster Ausflug in die Natur fing gut an, endete jedoch in einem Desaster. Schuld daran war der neue  Real -Markt im Gesundbrunnen-Zentrum. Dort gab es ein Regal mit russischen Lebensmitteln: eingelegte Steinpilze, Salzheringe und den berüchtigten Moosbeerenwodka, das Lieblingsgetränk jedes Landmannes. Natürlich kaufte ich eine Flasche für die Familienfeier im Schrebergarten. Ich konnte nicht wissen, dass meine Frau und meine Eltern das gleiche Regal aufgesucht und das gleiche Produkt gekauft hatten. So hatten wir plötzlich drei Flaschen Wodka auf dem Tisch statt einer und nur zwei Trinker, die den Moosbeeren zusprachen – meinen Vater und mich.
    Bei einer Einweihungsparty gilt es als schlechtes Omen, wenn auf dem Tisch etwas übrig bleibt. Das würde sich negativ auf die Fruchtbarkeit des Gartens auswirken. Als abergläubische Menschen gaben wir uns also Mühe bei der Vernichtung der Vorräte. Mit der Folge, dass mein Vater und ich uns so gründlich betranken wie schon seit Jahren nicht mehr. Wir konnten zwar ohne fremde Hilfe sitzen und stehen,
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