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Mein Leben im Schrebergarten

Mein Leben im Schrebergarten

Titel: Mein Leben im Schrebergarten
Autoren: Wladimir Kaminer
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Lebensfreude und Optimismus aus, und das sogar hauptberuflich. Laut eigener Auskunft war sie als Heilerin tätig, außerdem arbeitete sie als Anwältin für arme Menschen und Tiere sowie als Schauspielerin im Kindertheater und als Erziehungswissenschaftlerin im Verein für Schwererziehbare. Sie besaß mehr Tiere als Pflanzen auf ihrem Grundstück. Zu ihrer Menagerie gehörten unter anderem zwei Spiel- und Schmusehunde mir unbekannter, aber angeblich sehr edler Rasse. Der eine hatte einen Herzfehler, der andere war eine Zeit lang querschnittsgelähmt gewesen, aber von Frau Krause geheilt worden. Außerdem besaß sie drei Hippie-Meerschweinchen mit langen Haaren und acht Vögel: Wellensittiche, Minikakadus und einen Kanarienvogel mit dem Spitznamen Don Juan, der wegen eines Schlaganfalls nicht mehr fliegen konnte. Dazu kamen zwei Kinder im Grundschulalter und Herr Krause mit seiner neunzigjährigen Mutter. Diese freundliche, etwas durchgeknallte Gesellschaft hatte ständig zu tun. Und wenn sie ausnahmsweise nichts zu tun hatte, lief sie einfach hintereinander her im Kreis und tat so, als wäre sie sehr beschäftigt: Frau Krause allen voran, ihre Kinder hinter ihr her, dann der Mann mit den Hunden. Die Oma und Kanarienvogel Don Juan waren die Letzten, doch manchmal, wenn die Ersten zu schnell liefen, wurden die Letzten die Ersten.
    Alle zwanzig Minuten krachte an diesem Grundstück eine Straßenbahn vorbei, dann versteinerte Großfamilie Krause für wenige Sekunden und schaute der Straßenbahn nachdenklich hinterher, was ihr eine gewisse Ähnlichkeit mit Playmobilfiguren verlieh. Nur dem Kanarienvogel mit dem Schlaganfall war der Straßenbahnlärm egal, er spazierte einfach weiter. Der Vogel hatte den Schlaganfall gleichzeitig mit Frau Krauses Schwiegervater erlitten. Den einen hatte sie retten können, den anderen nicht.
    Ich lernte auch noch meine Nachbarn von gegenüber kennen, deren runde Kartoffelbeete mit einem Stein in der Mitte schon vorher unsere Aufmerksamkeit erregt hatten. Die Familie Kern war aus Baden-Württemberg nach Berlin gezogen, hatte ebenfalls zwei Kinder im Grundschulalter und wirtschaftete auf ihrem riesigen Grundstück streng nach der chinesischen Biogartenlehre. Überall lagen Steine herum, die die Sonnenenergie akkumulieren und an die Kartoffeln weitergeben sollten. Außerdem ragten seltsame spiralförmige Antennen aus der Erde. Herr und Frau Kern waren schon etwas länger in der Kolonie, hatten uns aber zum Thema blaue Blümchen trotzdem nichts mitzuteilen.
    Unsere Nachbarn hatten mit ihren Gärten Großes vor. Angesichts ihrer ehrenwerten Absichten wurde mir unser eigener Gartentraum mit Grill und Gartenmöbeln etwas peinlich. Aber runde Kartoffelbeete? Nein, danke! Als erste Bepflanzungsmaßnahme beschlossen wir, eine natürliche grüne Mauer rund um unser Paradies zu errichten, damit niemand mehr zu uns in den Garten schauen konnte. Zu diesem Zweck bestellte meine Frau in einem Spezial-Katalog für Kleingarten-Freaks hundert  »Ligustrum vulgare  – wintergrüner, dicht verzweigter Busch, ideal als halbhohe Hecke bis zwei Meter«. Von Sonnenaufgang bis zum späten Abend pflanzten wir  Ligustrum vulgare . Als wir ungefähr bei der neunundneunzigsten Pflanze angekommen waren, besuchte uns eine unbekannte Brünette vom Vereinsvorstand und qualifizierte unsere Arbeit als Verstoß gegen Paragraph sowieso des Kleingartengesetzbuches sowie Verletzung der jüngsten Beschlüsse der Vollversammlung der Gartenkolonie »Glückliche Hütten«. Laut diesem Beschluss mussten wir mindestens fünfzig Zentimeter Abstand vom Zaun des Nachbarn einhalten. »Ich rate Ihnen, alles sofort aus- und umzupflanzen«, drohte die Brünette.
    Am nächsten Tag hatte ich unvorstellbare Schmerzen im ganzen Körper. Vor allem die Beine litten unter so starkem Muskelkater, als hätte ich am Berlin-Marathon teilgenommen. Meine Frau konnte sich praktisch gar nicht mehr bewegen. Es war Sonntag, alle normalen Bürger saßen auf ihrem Balkon und genossen die Sonne.Wir aber krochen wie zwei vergewaltigte Schildkröten in unseren Garten zurück, um unsere  Ligustrum vulgare  umzupflanzen. O du deutsches Kleingartengesetz! Wer hat dich geschrieben? Ich möchte den Autor gerne einmal persönlich kennenlernen. Aber eines habe ich herausgefunden: Die Homöopathen haben recht. Man kann tatsächlich Gleiches mit Gleichem heilen. Nach vier Stunden Gartenarbeit ließ der Muskelkater nach, und ich hatte sogar die Kraft, den
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