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Mein Leben im Schrebergarten

Mein Leben im Schrebergarten

Titel: Mein Leben im Schrebergarten
Autoren: Wladimir Kaminer
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schwarzen Vögeln hinterher, die sie weder fangen noch fressen können. Sie scheitern bei ihrer Jagd. Wegen der Glocke und ihres Übergewichts gelingt es ihnen nicht, die Vögel zu überraschen.
    Wir hatten lange Zeit keine Tiere auf unserem Grundstück, abgesehen von zwei Riesennacktschnecken, die im Kasten der Wasseruhr wohnten. Die Kinder tauften sie auf Uwe und Thomas, unseren Freunden zu Ehren, die uns geholfen hatten, den alten DDR-Zaun mit Stacheldraht in den Mischmüll-Container zu entsorgen und einen neuen, kinderfreundlichen aufzustellen. Die ganze Operation dauerte drei Tage. Löcher graben, Pfeiler einbetonieren, Netz aufspannen – es waren harte Tage. Allein hätte ich es nie geschafft. Die beiden Männer nahmen die Sache sehr ernst, aber niemand von uns hatte schon einmal einen Schrebergartenzaun aufgestellt, und jeder hatte eine andere Vorstellung, was zu tun wäre. Wir stritten über die Tiefe, Länge und Geradlinigkeit des Zauns. Unsere Arbeit fand außerdem unter erschwerten technischen Bedingungen statt, das heißt unter ständiger Beobachtung von Günther Grass, der uns zwar Schubkarre und Brechstange auslieh, sich dafür aber mit Kommentaren nicht zurückhielt.
    Die größte Frage des Zaunbaus ist, wie viel Beton gegossen werden muss, damit die Pfeiler sicher stehen. Noch Tage nach unseren Bemühungen verschickte Uwe an Thomas SMS-Botschaften mit Provokationen wie »Deine Pfeile alle umgefallen, meine stehen noch.« Der Zaun ist uns letzten Endes gut gelungen, doch auf meinen Vorschlag, auch gleich das Dach der Laube zu erneuern, wo wir doch gerade so schön beisammen seien, reagierten meine Freunde mit Rückzug. Der eine erinnerte sich plötzlich an einen wichtigen Termin zum Schachspielen, der andere musste dringend ins Stadion – Fußball gucken. Meine Freunde hatten keine Lust auf Gartenarbeit, sie drückten sich davor, woraufhin wir fortan unsere Nacktschnecken nach ihnen benannten. Die Kinder versuchten, sie in ihre Spiele einzubeziehen. Doch die Nacktschnecken waren wahrscheinlich hundert Jahre alt und wollten nicht spielen. Während Uwe noch gelegentlich seine Fühler ausstreckte, bewegte sich Thomas überhaupt nicht.
    Im Oktober kam Mia. Zuerst sah ich nur eine große Walnussschale unter dem Apfelbaum auf unserer Wiese liegen. Merkwürdig, dachte ich, wir haben keine Walnussbäume auf unserem Grundstück, und wir essen auch keine Walnüsse. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass meine Nachbarn ihre Walnussschalen zu uns über den Zaun warfen. Am nächsten Tag fanden wir noch mehr Walnussschalen unter dem Apfelbaum und daneben ein tiefes Loch, das über Nacht entstanden war. Ein fremdes Wesen hatte sich in unserem Garten einquartiert. Mein Sohn tippte auf eine Menschen fressende Riesenkakerlake, meine Tochter auf ein unterirdisches Einhörnchen, meine Frau auf eine Maus. Wir kauften eine Packung Walnüsse und legten achtzehn Nüsse neben das Erdloch. Über Nacht waren elf weg, einfach verschwunden – aufgegessen oder eingebuddelt von unserem Schrebergartentier, das wir inzwischen Mia nannten. Mia erwies sich als sehr hungrig, wahrscheinlich kam sie aus Afrika, vielleicht aber auch vom Nordpol. Sie vernichtete in kürzester Zeit jede Menge Nüsse, Pommes, Chips und darüber hinaus auch so ziemlich alles, was die Kinder ihr neben ihrem Versteck auslegten, blieb aber weiterhin unsichtbar.
    Ich erzählte Günther Grass von unserem neuen Haustier, der eine gezielte Tötung durch Vergiftung empfahl. Letztes Jahr hätte auch er Mäuse in der Laube gehabt. Er hätte sie mit einer guten »Schemikalie« behandelt: Nur einmal die Ecken seiner Laube damit ausgespritzt, und seither war keine Mäusekacke mehr zu sehen. Er hätte noch jede Menge von der »Schemikalie« übrig und könnte mir ein paar Liter davon umsonst geben. Ich verzichtete und erzählte, dass wir die Maus im Garten gerne behalten würden. Das hätte er noch nie gesehen, schüttelte Günther Grass den Kopf, dass man die Mäuse im eigenen Garten fütterte.
    Trotz der globalen Erwärmung wurde es im November doch etwas kälter. Mia verschwand aus dem Garten, gleich nachdem der erste Schnee gefallen war, der deutsche Pünktlichkeitsschnee am dreizehnten November, der sich innerhalb von Stunden auflöste und eher als Warnung vor dem unmittelbar bevorstehenden Winter zu verstehen war. Wahrscheinlich ist Mia in den Süden gezogen, nach Dahlem, wo es das ganze Jahr über genug zu knabbern gibt.
    Die Kolonie bereitete sich auf den
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