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Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story

Titel: Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story
Autoren: Omar Nasiri
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der erste Mensch, der sich überhaupt für mich interessierte, der mir etwas beizubringen versuchte. Und ich wollte etwas lernen, weil ich wusste, dass ihm das gefallen würde.
    Doch am allerwichtigsten war mir, etwas über Schusswaffen zu erfahren. Seit dem Tag meiner Ankunft wusste ich, dass es im Schloss welche gab. Ich wusste das, weil ich abends hören konnte, wie die Waffen abgefeuert wurden – im Kellergeschoss gab es einen Schießstand, der nicht schalldicht war.
    Eines Nachmittags traf Édouard mich alleine an und bat mich, ihm zu folgen. Wir gingen in den Keller. Ich traute meinen Augen nicht: Er besaß alle möglichen Arten von Schusswaffen, Pistolen, Gewehre, alles, was man sich nur vorstellen konnte. Er führte mich herum, erklärte mir den Namen jeder einzelnen Waffe und ihren Verwendungszweck: eine 44er Magnum, eine 45er Smith & Wesson, ein 22er Gewehr, einen 44er Marlin-Karabiner, und so ging es weiter. Sofort war ich von diesem Arsenal völlig hingerissen.
    Im Lauf der kommenden Monate und schließlich Jahre erklärte mir Édouard den Gebrauch jeder einzelnen Waffe. Er brachte das auch anderen Kindern bei, aber mein Interesse war am größten. Auf diese Weise wurden unsere Treffen zu etwas ganz Besonderem, zu einer gemeinsamen Unternehmung von Édouard und mir. Er nahm mich regelmäßig in den Keller mit oder hinaus auf ein Feld, und dort schossen wir auf Ziele. Der Rückstoß mancher Waffen war so stark, dass es mich nach dem Abdrücken von den Beinen riss, und dann lachte er. Mir gefiel die Disziplin, die der Umgang mit Waffen erforderte, und es gefiel mir, dass ich sie immer besser zu beherrschen lernte. Dass Édouard mich lobte, tat mir gut.
    Während meiner Zeit mit Édouard lernte ich auch, wie man Kugeln herstellte. Munition ist sehr teuer, und wir verbrauchten eine Menge davon. Deshalb sammelten wir nach jedem Zielschießen die Geschosshülsen wieder ein und bewahrten sie zur Wiederverwendung auf. Wir sammelten jedes Stückchen Blei ein, das wir in die Finger bekamen, zum Beispiel Radkappen und Rohre aus alten Häusern. Édouard brachte mir bei, wie man das Blei einschmolz, daraus neue Kugeln fertigte und anschließend die Patronenhülsen mit der Treibladung füllte. Die Herstellung einer Kugel ist nicht einfach, es ist eine sehr präzise Kunst. Füllt man zu viel Pulver in die Hülse, kann die Patrone in der Waffe explodieren, und man bekommt die ganze Ladung ins Gesicht. Also lernte ich, sehr vorsichtig zu sein.
    Schließlich begriff ich, dass der Umgang mit Waffen für Édouard ein Mittel war, mit dem er mir Disziplin beibringen wollte. Ich war ein eigensinniges und sehr unabhängiges Kind. Und die Schule war mir gleichgültig. Aber Édouard ließ mich erst an die Waffen, wenn ich meine Hausaufgaben gemacht hatte, und deshalb machte ich mich jeden Abend an meine Aufgaben. Ich wurde ein besserer Schüler, und Édouard lobte mich auch dafür.
    Aber ich war kein Engel. Als ich fünfzehn Jahre alt war, hatte ich einen fürchterlichen Streit mit Édouard. Ich wollte an diesem Abend mit ihm zusammen sein, schießen und neue Kugeln herstellen. Er fragte mich, ob ich meine Hausaufgaben gemacht hätte, und ich bejahte das. Ich verbrachte den ganzen Abend im Schießstand im Keller. Aber bei der Frage nach den Hausaufgaben hatte ich gelogen, und Édouard fand das am folgenden Tag heraus. Er war wütend auf mich.
    „Warum hast du mich angelogen?“, schrie er. „Du glaubst wohl, du kommst mit allem durch?“
    Er wurde rot vor Zorn. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Er schrie mich an, aus seiner Mimik sprach tiefer Abscheu.
    „Du hast alles, was man nur haben kann – du bist klug, du kannst alles erreichen in dieser Welt. Stattdessen lügst du mich an. Du hast kein Gewissen.“
    Und dann, bevor er sich abwandte, sagte er etwas, was mir immer im Gedächtnis geblieben ist:
    „Ich glaube nicht, dass aus dir mal etwas wird.“
    Einige Monate später verließ ich die Schule, aber dies war die letzte ernsthafte Unterhaltung mit Édouard gewesen. Danach gab es einen Bruch zwischen uns, es herrschte kühle Distanz.
    „Ich glaube nicht, dass aus dir mal etwas wird.“
    Jahrelang gingen mir Édouards Worte – als Beleidigung wie als Herausforderung – im Kopf herum. Zuerst dachte ich, dass er Recht hatte. Später versuchte ich verzweifelt zu beweisen, dass er im Unrecht war.

MAROKKO
    Im Alter von fünfzehn Jahren kehrte ich mit meiner Familie nach Tanger zurück. Meine gesundheitlichen Probleme waren
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