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Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story

Titel: Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story
Autoren: Omar Nasiri
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Kopf ist in Europa, wo ich zur Schule ging, wo ich aufgewachsen bin, wo ich den größten Teil meines Lebens verbracht habe. Ich lese Le Monde, Die Zeit, Bücher aus Amerika und England. Mein Bewusstsein ist vom Westen geprägt worden, von seinen Denkmustern, von seinem umtriebigen, arroganten, erregenden Individualismus.
    Ich bin nirgendwo zu Hause, weil ich zugleich Nordafrikaner und Europäer bin. Als ich im Teenageralter nach Marokko zurückkehrte, war mein Arabisch schlecht, und die anderen Kinder verspotteten mich als Europäer und Ausländer. Bei meinem letzten Besuch, der über ein Jahrzehnt zurückliegt, war ich als Außenstehender unterwegs, als Besucher aus dem Ausland. Auf dem Deck der Fähre trank ich Whisky, rauchte Zigaretten und warf ein Auge auf die jungen Frauen. Aber auch in Europa bin ich nicht zu Hause. Ich lebe jetzt seit sechs Jahren mit meiner Frau in Deutschland und habe in vielen Berufen gearbeitet. Aber ich besitze nicht die Staatsbürgerschaft des Landes, werde in den Behördenakten als Flüchtling geführt und wie jeder andere arabische „Gastarbeiter“behandelt.
    Deshalb trifft vielleicht nur eine dieser Aussagen uneingeschränkt zu: Ich bin Muslim.

BUCK DANNY
    Im Alter von acht Jahren ging das Leben, das ich mir als kleiner Junge erträumt hatte, zu Ende. Im Kinderzimmer saß ich am Tisch und bastelte an einem Flugzeugmodell. Mein ältester Bruder Hakim lieferte sich auf dem Stockbett nebenan mit Rochdi, einem meiner jüngeren Brüder, einen Ringkampf. Das ärgerte mich, weil ich mich auf meine Arbeit zu konzentrieren versuchte. Ich machte eine Pause und ging ins Badezimmer, um ein Q-tip zu holen. Als ich ins Kinderzimmer zurückkam, war der Ringkampf immer noch im Gang, und ich setzte mich auf den Boden, um meine Ohren zu reinigen. Wenige Augenblicke später fielen meine Brüder aus dem Bett und landeten auf mir.
    Ich spürte, wie das Stäbchen mein Trommelfell durchbohrte, und ein brennender Schmerz durchdrang meinen ganzen Körper. Ich fiel beinahe in Ohnmacht und hörte mein eigenes Schreien. Als sich meine Brüder von mir herunterwälzten, sah ich, dass ich über und über mit Blut beschmiert war. Ich war von Blut umgeben.
    Das hätte einfach nur ein unbedeutender Unfall sein können – eine Balgerei unter Jungen, wie sie nun einmal üblich ist. Doch es war sehr viel mehr als das. Dieser Vorfall veränderte mein Leben für immer, und er nahm mir das, was mir am allerwichtigsten war. Davon habe ich mich niemals wirklich erholt.
     
    Aber ich will ganz von vorne anfangen. Ich wurde in eine große Familie hineingeboren: sechs Jungen, drei Mädchen. Ich war der zweitälteste Sohn.
    Als Kind war ich voller Energie. Manchmal hatte ich zu viel Energie. Ich gab meinen Eltern freche Antworten. Mit meinen Brüdern trug ich, wie alle anderen Jungen auch, regelmäßig Kämpfe aus. Meistens kämpfte ich mit Hakim, der älter und größer als ich war und mir meine Grenzen aufzuzeigen versuchte. Aber ich setzte mich stets zur Wehr.
    Ich war übermütig und hatte überall meine Finger im Spiel. Ich stahl Butter aus dem Kühlschrank – ich liebte den Geschmack von Butter -, kletterte auf Bäume und aß dort meine Beute auf. Eines Tages naschte ich so viel Butter, dass ich im Krankenhaus landete, wo mir meine Mutter das Versprechen abnahm, so etwas nie wieder zu tun. Natürlich brach ich dieses Versprechen, und als meine Mutter dahinterkam, wurde sie so wütend, dass sie mir zur Strafe mit einem heißen Löffel die Hand verbrannte. Selbst das hielt mich nicht lange vom Naschen ab.
     
    Mein Vater ging nach Belgien, als ich drei Jahre alt war. Er fand in Brüssel eine Arbeitsstelle und ließ uns alle bei unserer Mutter in Marokko zurück. Nach zwei Jahren folgten wir ihm. Kurz nach unserer Ankunft ließ unsere Mutter uns alle vom Arzt untersuchen. Gesundheitsfürsorge ist in Marokko sehr teuer, und einen Arzt bekamen wir dort nur bei einem Notfall zu Gesicht. In Belgien ist die Gesundheitsfürsorge kostenlos, und deshalb gingen wir alle auf einmal hin. Bei dieser Gelegenheit erfuhren meine Eltern, dass ich an Tuberkulose litt.
    Wegen dieser Krankheit konnte ich nicht mehr bei meiner Familie in der Stadt leben. Stattdessen wurde ich aufs Land gebracht, in ein Sanatorium, das etwa 70 Kilometer von Brüssel entfernt war. Von einem Tag auf den anderen fand ich mich – als Nordafrikaner, der in der Tradition des Korans erzogen worden war – in einer katholischen Schule wieder, deren Lehrpersonal
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