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Mein Leben als Androidin

Mein Leben als Androidin

Titel: Mein Leben als Androidin
Autoren: Stephen Fine
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kaum erträgliche Spannung.
    Meine menschlichen Freunde klammern sich an die Vorstellung, daß ich überleben werde, wahrscheinlich wegen persönlicher Komplexe in bezug auf den Tod. Ausgerechnet Anna nimmt es von allen am schwersten. Die ganze Woche über hat sie das Thema ängstlich vermieden und ihre Arbeit getan, als wäre dieser Tag nichts Besonderes und als würde ich noch viele erleben. Vor wenigen Minuten entrang sich ihr eine Art Zugeständnis, als sie sich gedrängt fühlte, mich zu beruhigen (eigentlich sich selbst), und sagte, da das Benway-Gegenmittel erst am Anfang der Versuchsreihe gestanden hatte, bestand doch noch die Möglichkeit, daß ich verschont blieb. Ich gab keine Antwort, und auch alle anderen schwiegen, die Verzweiflung hinter dieser Aussage war zu offensichtlich. Sie merkte es selbst, glaube ich, weil sie sich rasch abwandte, um ihren Kummer nicht zu zeigen. Im Gegensatz dazu bereiten P-10 und seine Pilger in unverkennbar festlicher Stimmung meinen Übergang vor. Für sie ist es ein froher Anlaß, den man auf keinen Fall versäumen und auch nicht durch unangebrachte Trauer entweihen darf. Sie haben in der ganzen Wohnung und auf dem Balkon grellbunte Wimpel aufgehängt und Tanzmusik eingeschaltet. Sogar den Schnaps haben sie aufgemacht. Es geht zu wie bei einer irischen Totenwache, dabei habe ich noch nicht einmal den Geist aufgegeben! Dadurch wird es mehr zu einer Zigeunerbeerdigung, wenn ich jetzt darüber nachdenke. P-10 hat mir versichert, es werde eine Phase der Andacht geben, wenn der Zeitpunkt der Transition heranrückt, und daß er mir helfen wird, sie leicht zu bewerkstelligen. (Er fiebert dem Ereignis geradezu entgegen, hat er doch ein ganzes Jahr warten müssen.) Im Moment nützt mir das alles nichts. Dreckspatz bellt und springt in verständlicher Aufregung herum, und die Musik fängt an, mir auf die Nerven zu gehen. Während sie plärrt und die Pilger umherspringen – sie tanzen den Moonhop, sehr zu Tads Ärger, denn er befürchtet, sie könnten die Polizei auf den Plan rufen –, werde ich die alte Corona aufsetzen. Niemand wird es merken und wenn, wird es sie nicht stören; sie amüsieren sich viel zu gut. Und falls doch jemand fragt, werde ich sagen, daß ich mir aquarische Delphingesänge anhöre oder etwas in der Art, während ich in Wirklichkeit den Abschluß zu diesen Memoiren komponiere, denn sie wären nicht vollständig ohne die Erwähnung dessen, was letzte Nacht geschehen ist. Zu einem großen Teil ist der Vorfall verantwortlich für die Gelassenheit, die ich heute empfinde.
    Es geht darum, daß Anna aus dem Zimmer schlich, damit Tad und ich in unserer letzten gemeinsamen Nacht allein sein konnten, und kaum war sie gegangen, da schlüpfte er zu mir unter die Decke und begann, mich zu liebkosen. »Laß sein«, sagte ich und fügte hinzu, daß unsere Beziehung keiner verspäteten Demonstrationen jugendlicher Leidenschaft bedurfte, die jetzt unangebracht wirkte und überdies von Mitleid bestimmt wurde. War es nicht ein Opfer von seiner Seite? Es konnte nicht anders sein, denn ich war eine verwelkte alte Frau, nur noch Stunden vom Grab entfernt. Doch er knabberte an meinen Ohrläppchen (behutsam, ganz behutsam, denn sie waren schon fast nicht mehr vorhanden) und flüsterte, daß er ein aufrichtiges Verlangen empfand und sich weder abweisen lassen noch ohne Erfüllung bleiben würde. Seine Worte weckten süße Erinnerungen an die Jugend in mir, ich öffnete mich ihm und sagte: »O Tad, dann ja, noch einmal, bevor ich …« Doch seine Lippen versiegelten meinen Mund und sanft, überaus sanft, drang er in mich ein. »Siehst du, drinnen fühlst du dich an wie ein junges Mädchen«, flüsterte er, und mir traten die Tränen in die Augen.
    Anna schaut mich an. Sie möchte etwas sagen. Ich werde den Gedankenprozessor einen Moment absetzen müssen.
    Also gut, ich bin wieder da, t. p. eingeschaltet, und das Gerät läuft. Anna wollte mir sagen, daß vielleicht letzte Nacht das Wunder bewirkte, wenn schon das Gegenmittel mir nicht helfen konnte.
    »Wenn auch nur, um länger mit euch zusammenbleiben zu dürfen, hoffe ich, daß du recht hast«, habe ich erwidert, obwohl mir der Gedanke wenig Hoffnung einflößte. Ihr auch nicht, fürchte ich. Sie biß sich auf die. Lippen und kniete plötzlich nieder, um mich zu umarmen. »Es tut mir so leid«, sagte sie, als wäre es ihre Schuld, daß meine Termination sich nicht verhindern läßt. Also mußte ich sie trösten, wenn ich es auch
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