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Mein Leben als Androidin

Mein Leben als Androidin

Titel: Mein Leben als Androidin
Autoren: Stephen Fine
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stellen: War es ihnen gelungen, Jubilee ausfindig zu machen?
    Nein. Im Anschluß an den Prozeß war sie nach Semiville zurückgebracht worden. Vor einigen Monaten hatte es dort einen gewalttätigen Aufstand gegeben – in den interplanetaren Nachrichten wurde darüber berichtet. Allem Anschein nach gehörte sie zu denen, die verschwunden blieben, nachdem die ›Unruhen‹ von der neuen, demokratisch gewählten Gebieterpartei-Regierung niedergeschlagen worden waren. Über ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort war nichts bekannt. Man konnte nur hoffen, daß sie irgendwo noch immer on line war. »Schon gut«, meinte ich seufzend. »Ich hatte nur gehofft, sie wäre vielleicht hier aufgetaucht. Wie es scheint, hat sich meine ganze Vergangenheit hier ein Stelldichein gegeben, und ich dachte …« Damit sank ich in Relaxo, unfähig, die Augen noch eine Sekunde länger offenzuhalten.
     

Kapitel vier
    Je gründlicher ich während meiner Genesung den Inhalt meines Erinnerungsspeichers durchforschte, desto größer wurde mein Zorn über die Auslassungen, Entstellungen und Falschinterpretationen meines für den Prozeß manipulierten Lebenslaufs. Die zynische Rufmordkampagne von Anklage und Verteidigung hatte im Bewußtsein der Öffentlichkeit ein Geschöpf erschaffen, das nichts mit mir zu tun hatte. Ich war keine geistesgestörte Mörderin, wie von den Gebietern behauptet, noch die Revolutionärin, der viele meiner Androidenschwestern und -brüder heimlich nacheiferten. Beide hatten keine Ähnlichkeit mit mir. Obwohl mein Lebenslauf sich aus zahlreichen außergewöhnlichen Abenteuern zusammensetzt, bin ich nur ein gewöhnlicher P9, wie ich schon eingangs meiner Geschichte festgestellt habe, und verdiene deshalb weder das übertriebene Lob noch die vernichtende Kritik. Nein, die Wahrheit liegt woanders – ich möchte glauben, hier, in meinen Aufzeichnungen. Wie auch immer, während der ersten zwei Wochen meiner Rekonvaleszenz fühlte ich mich hilflos angesichts dieser populären Legende und grämte mich unbeschreiblich, daß der Welt versagt geblieben war, mein wahres Ich kennenzulernen. Ich wollte ihnen die Augen öffnen! Doch wegen meiner schwindenden Kräfte fürchtete ich, nie wieder genügend Energie und Scharfblick aufzubringen, um mein eigentliches Wesen auch nur zu meiner eigenen Zufriedenheit auszuloten, ganz zu schweigen von den Ansprüchen der Weltöffentlichkeit. Außerdem peinigte mich der Verdacht, daß meine zunehmende Hinfälligkeit mich womöglich verführte, mich als Kompensation übertriebenen Illusionen bezüglich meiner Erlebnisse hinzugeben; denn wenn ich nur eine gewöhnliche Einheit war, wie ich hartnäckig betonte, aus welchem Grund sollte sich dann irgend jemand für die echte Molly Dear interessieren? War ich wirklich so arrogant und töricht zu glauben, die Weltenöffentlichkeit legte Wert darauf, die Wahrheit über mich zu erfahren? Keine Antwort, bitte! Manchmal gestand ich mir selber ein, daß ich stolz darauf war, aus der Masse herauszuragen, und ich betrachtete meine negative Reputation als etwas Dauerndes, das noch lange Bestand haben würde, nachdem ich selbst längst abgetreten war. Dann wieder kam mir plötzlich die Kurzlebigkeit von Neuigkeiten in den Sinn, und ich verlor den Mut, denn ich wußte, in ein oder zwei Jahren würde ich vergessen sein, mein Ruf wie Donnerhall reduziert auf eine verblassende Nachrichtenspule in der Medienbibliothek und eine Fußnote in den Geschichtswerken. In dieser Richtung konnte ich also keinen Trost finden.
    War Juniors Rat vielleicht sinnvoller – alles irdische Streben aufzugeben für ein Anrecht auf die höheren Ebenen? Durchaus! Folglich verbannte ich während der ersten Wochen der Rekonvaleszenz den Gedanken an Memoiren aus meinem Bewußtsein zugunsten der Vorbereitung auf den Übergang. Ich verriet auch nichts von P-10s heimlichen Besuchen in den frühen Morgenstunden, die er als die günstigste Zeit für die spirituelle Transition bezeichnete. Leider war ich mir aber weder seines Programms noch meiner Wünsche genügend sicher, um mich hinzugeben und fallenzulassen, wie er es mir unablässig in die Ohren wisperte. Es erschien mir nicht fair, Tad und Anna gegenüber, die so lieb, ermutigend und lebensbejahend gewesen waren. Ich brachte es nicht übers Herz, sie zu enttäuschen. Also änderte ich wiederum die Meinung; meine Situation war dermaßen verzwickt, daß keine Lösung mich auf Dauer befriedigte. Es gab keinen Grund zur Eile, sagte ich mir: In
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