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Mein Leben als Androidin

Mein Leben als Androidin

Titel: Mein Leben als Androidin
Autoren: Stephen Fine
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werde. Auch wollte ich auf gar keinen Fall den Eindruck erwecken, mit Tad zu konkurrieren, der ungefähr gleichzeitig mit einer eigenen Arbeit begann, sehr passend betitelt Reisender zwischen zwei Welten. (Er hatte große Schwierigkeiten damit – der unterdrückte Haß auf seine Eltern stand ihm im Weg. »Ich habe eine Blockierung«, sagte er. Folglich verbrachte er mehr Zeit damit, seine Komplexe zu überwinden.) Während er und die anderen schliefen, blieb ich die ganze Nacht wach, mit seinem zerbeulten alten Corona-Gedankenprozessor auf dem Kopf. Am Morgen nahm ich die Datenspule mit der fertiggestellten Passage behutsam heraus und hängte sie an die Halskette, die ich ständig trug. Inzwischen war ich genügend zu Kräften gekommen, um mit einem Stock gehen zu können, und gewöhnte mir an, nach dem Frühstück ein bis zwei Stunden umherzuwandern, während ich meine Gedanken in die Vergangenheit schweifen ließ. Diese ambulanten Meditationen blieben nicht auf die Wohnung beschränkt (eine wirklich trostlose Behausung), sondern wenn ich mich entsprechend fühlte, unternahm ich Ausflüge in die nähere Umgebung. (Typisch L. A.: Alles hatte sich verändert; der alte Hoverbusbahnhof war einem Sportstadion gewichen, und die Huren flanierten jetzt auf der neuen Touristenpromenade am Meer.) Tad oder Anna begleiteten mich und erzählten von angenehmen Dingen, während ich Interesse vortäuschte, in Wirklichkeit aber meinen Erinnerungsspeicher nach geeignetem Material für das nächste Kapitel durchforstete.
    Auf einem dieser Spaziergänge heftete sich ein struppiger Hund an unsere Fersen, der sich nicht verscheuchen ließ, also ließen wir uns erweichen und nahmen ihn mit in die Wohnung. Das Tier schien mich aus irgendeinem Grund allen anderen vorzuziehen und wurde bald mein ständiger Begleiter. Es war eine Hündin. Ich taufte sie Dreckspatz, denn an dem Tag, als sie bei uns einzog, machte sie ihrem Namen alle Ehre. Sie war ein Mischling, halb Windhund, halb Terrier und wirklich sehr anhänglich, doch um die Wahrheit zu sagen, ich hätte gut ohne sie auskommen können, weil sie nach einiger Zeit die Ursache ständiger Reibereien zwischen mir und Junior wurde. Er bestand darauf, sie Jubilee zu nennen, weil er felsenfest glaubte, sie sei die Reinkarnation meiner verlorenen Tochter. Ich hatte mich nie so peinlich berührt gefühlt, so verärgert und beleidigt. Seinetwegen bedauerte ich, das arme Tier aufgenommen zu haben. Es kam so weit, daß ich sie auf meinen Spaziergängen nicht dabei haben wollte. Ihre Anwesenheit genügte, um mich von meinen Gedankengängen abzulenken.
    Doch es waren nicht nur Hunde, mit denen ich mich abfinden mußte, auch die Anhänglichkeit der Pilger war bemerkenswert (lästig). Sie verehrten mich, denn P-10 hatte ihnen erzählt, ich sei die Zauberin Candida, durch seine Gnade verwandelt in eine leuchtende Apostelin des Glaubens. Es half nichts, wenn ich mich dagegen verwahrte – sein Wort galt ihnen mehr als meins, also gab ich auf und sagte nichts; sollten sie glauben, was sie wollten. Trotzdem konnte ich mich Tads Überzeugung nicht anschließen, daß Junior verrückt war. Immerhin war seine Behauptung auch ein starkes Stück. Man denke, der Chef sollte zu einem Menschen gesprochen haben! Darüber bin ich immer noch nicht hinweg. Wie dem auch sei, P-10 blieb ein Problem, schon wegen der Pilger, die herbeiströmten, um ihn zu sehen und in seinen Wahnideen zu bestärken. Manchmal glaube ich, Tad und Anna begleiten mich auf meinen Verdauungsspaziergängen nur deshalb, um der Wohnung zu entfliehen, die mit katzbuckelnden Bewunderern vollgestopft war. Um ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, muß ich sagen, daß sie sich nützlich machten (wenn sie nicht gerade versuchten, Selbstmord zu begehen), doch sie taten es mit einer sklavischen Ergebenheit gegenüber P-10, die mir Übelkeit verursachte. Sie räumten auf, schleppten täglich Wasser in den fünften Stock, spülten Geschirr, spendeten Lebensmittel und standen abwechselnd Wache auf dem Dach, denn es bestand immer die Gefahr, daß Einheiten vom Städtischen Wohnungsamt landeten, um uns zu vertreiben. Trotzdem wünschten wir uns von Herzen, sie los zu sein. Das Getue um seine Person sprengte fast Juniors stolzgeschwellte Brust. Er betrachtete ihre Lobhudeleien und Arbeit als selbstverständlich, und um ihnen zu zeigen, daß er ihren Beitrag zu schätzen wußte, redete er ihnen auch den letzten Rest eines individuellen Selbstwertgefühls
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