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Mein Leben als Androidin

Mein Leben als Androidin

Titel: Mein Leben als Androidin
Autoren: Stephen Fine
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Aquarierzeremonie wäre ein geringer Preis dafür, seine Nummer Eins sein zu dürfen. Gerührt nahm er seine Bedingung zurück, um seinerseits mir einen Gefallen zu tun. Doch Junior, dem unsere Absicht auf dem üblichen Weg – der Lauscher an der Wand – zu Ohren gekommen war, hatte bereits Vorbereitungen getroffen und trat in diesem Moment ins Zimmer, um die Trauung vorzunehmen, gefolgt von einem halben Dutzend Pilger. Auch Anna war an der Verschwörung beteiligt, sie trug den Kelch – eine mit Rosenwasser gefüllte Suppentasse aus der Küche.
    »Trinkt von dem Wasser von Zeit und Raum«, intonierte P-10 und forderte Anna mit einem Kopfnicken auf, uns den Kelch zu reichen. Tad nahm das heilige Gefäß entgegen und bedeutete mir, seinem Beispiel folgend einen Schluck zu nehmen. »Im Namen des Chefs und des Ersten Prinzips der Realitätsformatierung«, verkündete unser Sohn, »erkläre ich euch für zusammengegeben. Möget ihr eine vielköpfige Schar von Semis hervorbringen, zum größeren Ruhme des Chefs!« »Zum größeren Ruhme des Chefs!« wiederholten Anna und die Pilger. Wir sagten es leise zueinander und küßten uns.
    Wir verbrachten eine liebevolle, aber keusche Hochzeitsnacht; keiner wollte so wenig zartfühlend sein und die Tatsache meines hohen Alters und meiner Gebrechlichkeit zur Sprache bringen. Am Morgen brachte Anna uns das Frühstück ans Bett. Wir luden sie ein, uns Gesellschaft zu leisten, und später am Tag, als meine frischgebackene Nummer Eins aus dem Haus ging, um in der Umgebung des Sportstadions Spenden zu sammeln, erhob ich keinen Einspruch, als Anna ihn begleitete, während ich zurückblieb. Ich protestierte auch nicht, als sie sich am Abend zu uns ins Bett legte und die beiden sich liebten. Es gab vielleicht Parallelen zwischen dieser Triade und einer anderen aus meiner Zeit in Frontera, aber nur rein äußerlich. In Wahrheit fühlte ich mich geehrt, Teil dieser Dreieinigkeit zu sein. Als sie mir zu lebhaft wurden, verließ ich das gefährlich wogende Bett und machte es mir in meinem Ohrensessel in der Ecke bequem. Sobald sie eingeschlafen waren, setzte ich die alte Corona auf, schaltete auf t. p. und verbrachte den Rest der Nacht damit, wie üblich schweigend zu komponieren. Alles in allem, wenn man über die körperlichen Gebrechen und die allgemeine Schwäche hinwegsieht, war es keine schlechte Zeit. Ich hatte es besser als die meisten, wenn sich das Ende nähert: Man sorgte für mich, ich war umgeben von meinen Lieben – Lebensgefährte, beste Freundin, Sohn und Hund – , und ich wußte präzis, wieviel Zeit mir noch blieb, meine Memoiren zu beenden. Ich war zufrieden.
     

Kapitel fünf
    Nun wissen Sie, womit ich mich in diesem vergangenen Jahr beschäftigt habe, während ich stetig dahinsiechte und inzwischen eine wirklich sehr, sehr alte Dame geworden bin. In den letzten paar Wochen konnte ich mich nur im Rollstuhl fortbewegen, denn die Beine tragen mich nicht mehr. Meine Haut schuppt sich immer noch. Fungodermatitis crusta nennen sie es. Das einzig Gute an dieser Krankheit ist, daß sie die Altersflecken und Runzeln ein wenig kaschiert. Meine Augen sind noch gut, auch das Gehör, obwohl beides nachgelassen hat – bis zu einem Grad, den man bei einem Menschen als normal bezeichnen würde. Ich kann auf der Terrasse sitzen und die Aussicht genießen, also ist es nicht so schlimm, wie ich es mir in meiner Jugend ausgemalt habe. Gerade jetzt, während ich hier sitze und komponiere, liegt die schwimmende Stadt Neu-San Francisco in der Bucht vor Anker und beansprucht zwei Drittel der Wasserfläche. Mit etwas Glück wird sie noch am Nachmittag in See stechen, und ich kann noch einmal den ungehinderten Ausblick auf die Anaheim-Insel erleben; sie ist wirklich pittoresk. Heute abend, müssen Sie wissen, ist ein besonderer Anlaß. Präzis um Mitternacht findet meine Termination statt oder, wie P-10 sagen würde, meine Transition. Ja, heute ist der Tag, den ich mein ganzes Leben hindurch gefürchtet habe – der 15. November 2088 –, dennoch bin ich ganz gefaßt, wenn auch nicht ruhig. Ich weiß, das klingt widersprüchlich, doch wenn Ihnen das Glück beschieden sein sollte, ein hohes Alter zu erreichen und mit so heiterer Gelassenheit an dieser Grenze anzulangen, wie es mir vergönnt ist, dann, vermute ich, werden Sie nachvollziehen können, was ich meine: Ganz gleich, wie gut vorbereitet wir zu sein glauben, da ist immer noch das Unbekannte, das uns erwartet, und daher rührt eine
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