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Giftweizen

Giftweizen

Titel: Giftweizen
Autoren: Heike Schroll
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Freitag
    Altmark, Ende April 1987
     
     
    ~ 1 ~
     
    Drei Leichen waren es diesmal.
Dagegen gab es prinzipiell nichts einzuwenden. Drei Leichen reichten auch aus. Der Auftrag erklärte sich durch die Umstände.
Und nun das!

Gestern, am späten Nachmittag, kurz nachdem Friedrich Renz seine nachgeschliffenen Instrumente endlich bei Waffen-Moritz hatte abholen können und zufrieden wieder in seinem Zuhause eingetroffen war, hatte ihn der neue Kreisarzt angerufen und um seine Hilfe gebeten. Im Gardelegener Krankenhaus waren seit ein paar Tagen die ohnehin begrenzten Kapazitäten für die Aufbewahrung von Leichnamen erschöpft und schon bei einem weiteren Todesfall hätten sie Probleme bekommen, die Körper kühl zu lagern. Der zuständige Arzt im Krankenhaus war plötzlich erkrankt, die Vertretung weilte auswärts auf Weiterbildung, und so war Dr. Renz wieder einmal gefragt worden, ob nicht er die nötigen Untersuchungen vornehmen, die Leichen freigeben und damit für eine Entspannung der Situation sorgen könnte. Natürlich hatte er sich bereit erklärt. Obwohl bereits seit einigen Jahren im Ruhestand, unterstützte der Rechtsmediziner gern und oft seine Kollegen im Krankenhaus, welches ihm dafür ein Büro und die Untersuchungsräume für seine Forschungen zur Verfügung stellte. Ganz ohne Arbeit mochte er nämlich noch nicht leben, obwohl sich die Herausforderungen des Alterns schon ab und zu deutlich bemerkbar machten.
Wenig später hatte ihn dann der Chefarzt der Abteilung für Innere Medizin telefonisch über die drei zu erledigenden Fälle knapp ins Bild gesetzt: Ein Bauarbeiter, noch viel zu jung zum Sterben, wartete bereits seit dem Wochenbeginn. Ein schwerer Unfall mit dem Motorrad hatte ihn das Leben gekostet. Bei strömendem Regen war er auf seinem Heimweg von der Straße gerutscht und gegen einen Baum geprallt. Die Leute vom Rettungswagen konnten ihm nicht mehr helfen. Für die Verkehrspolizei war wohl alles klar, jedoch wünschten die Angehörigen aus versicherungstechnischen Gründen eine Leichenöffnung.
Die hochbetagte Frau, gestern in den frühen Morgenstunden verstorben, hatte einen Herzschrittmacher getragen, und da war eine Obduktion obligatorisch.
Der dritte Patient war ein älterer Mann, der stets sportlich und gesund gelebt hatte und dessen starkes Unwohlsein man sich nicht hatte erklären können. Noch vor Abschluss der ersten Untersuchungen war er gestern Nachmittag verstorben, nur wenige Stunden nach seiner Aufnahme. Auch in diesem Fall sollte die Obduktion Klarheit über die Todesursache bringen.
Alle drei Autopsien verhießen eigentlich nur Routine.
Sein Kollege hatte sich bei ihm für die Bereitschaft, dem Krankenhaus erneut uneigennützig zu helfen, bedankt und versprochen, alles gründlich vorbereiten zu lassen. Er sei auch im Hause, habe zwar kleinere Operationen durchzuführen, aber falls es Fragen geben würde, stünde er selbstverständlich zur Verfügung.

Ans Werk! Renz überlegte, wie er am besten vorgehen sollte. Er liebte die Herausforderung. Daher stand für ihn von Beginn an fest, sich zuerst der anspruchsvollsten Aufgabe zu widmen. Sicher half ein Blick in die Patientenakten, eine Entscheidung zu treffen. Die Unterlagen gaben nicht viel mehr her, als er gestern schon am Telefon erfahren hatte. So war nach einigen Überlegungen klar: Unfall und Herzschrittmacher müssten warten. Dafür brauchte es auf keinen Fall einen Spezialisten mit seiner Erfahrung. Der alte Mann sollte es sein!
Renz ging zum Kühlraum und betrachtete die drei abgedeckten Körper auf den schmalen Rollliegen. Nach einem Blick auf die Rumpfkonturen wandte er sich der bauchigsten Leiche zu und fuhr sie langsam zum Untersuchungstisch. Bevor er den Leichnam mit den tausendmal geübten Handgriffen auf die Stahlplatte hinüberziehen würde, musste Renz noch das Abdecktuch entfernen. Mit einer Hand zog er den leichten Stoff schwungvoll beiseite und machte – wirklich überrascht – einen kleinen Schritt zurück.
»Was, zum Teufel, ist das denn?« Interessiert beugte er sich über den Körper. So etwas hatte er in seiner langen beruflichen Karriere noch nicht gesehen! Vor ihm lag ein Verstorbener, dessen Alter ungefähr zu seinem Auftrag passen könnte, doch mit erschreckend vielen, den gesamten Rumpf verunstaltenden Narben. Dazu bildeten die noch von Feuchtigkeit glänzenden, dunklen Haare – aufdringlich nach einem waldimitierenden Badeschaum riechend – einen extremen Kontrast. Und auf jeden Fall, das
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