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Mein Leben als Androidin

Mein Leben als Androidin

Titel: Mein Leben als Androidin
Autoren: Stephen Fine
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einem Jahr würde ich ohnehin exterminieren. P-10 konnte warten.
    Ja, es war besser, Tad und Anna als Belohnung für ihre zärtliche Fürsorge noch eine Zeitlang mit meiner zänkischen Gegenwart zu beglücken; es würde ihnen großen Kummer bereiten, wenn ich mich vorzeitig davonmachte. Ich möchte meine Worte nicht ironisch verstanden wissen – sie liebten mich wirklich, trotz meiner ständigen Klagen und plötzlichen Ausbrüche von schlechter Laune. Sie wußten, es handelte sich um die Nebenwirkungen des Benway-Gegenmittels. Ich wünschte mir nur, mein Sohn hätte sich ähnlich verständnisvoll gezeigt. Er war beleidigt über meinen ›Rückfall‹, wie er meinen Entschluß verächtlich bezeichnete, das Leben noch ein Weilchen zu ertragen. Ich hatte ihn zurückgewiesen, sagte er, und deswegen würde es mir nicht gestattet sein, durch das Fenster zu den höheren Ebenen zu gelangen. »Hüte dich! Du stehst am Abgrund! Du bist in Gefahr, zu einem neuen Lebenszyklus verdammt zu werden!« Trotzdem war ich nicht zum Übergang bereit, das hatte sich bei unseren Versuchen herausgestellt. »Meinetwegen brauchst du nicht zu schmollen«, wies ich ihn zurecht. »Du kannst dich damit beschäftigen, die Pilger zu transitieren.«
    Einmal abgesehen von dieser kleinen Verstimmung, gab es nur einen Stein des Anstoßes zwischen uns: nämlich seine Weigerung, mich als seine Mutter zu akzeptieren, oder vielmehr die Behauptung, er habe nie eine Mutter gehabt. Er bildete sich ein, in der himmlischen Schmiede als eine Art Goldbarren von einem Blitz erschaffen worden zu sein und daß dieser göttliche Funke den primordialen Äther erhellt und den werdenden Formaten Leben eingehaucht hätte, so daß in jenem kurzen Augenblick der magischen Transformation die kollektive Energie des Kosmos sich in Gestalt von Zeit und Raum entladen hatte, um das Universum zu formen, auch selbiges nur eine unvollständige Manifestation der Schöpfungskraft des Chefs, deren prägnanteste Verkörperung er war, P-10. Seine Hirngespinste bekümmerten mich jedoch weniger als das Wissen, daß auch ihm, trotz seiner eingebildeten Unsterblichkeit, an seinem zwanzigsten Geburtstag die Termination bevorstand, nur zwei Jahre und drei Monate nach meiner eigenen. Dagegen erschien mir mein Siechtum nicht so wichtig, das – nebenbei bemerkt – einen neuen und erschreckenden Verlauf genommen hatte: Ganze Teile meines Körpers waren von einer dicken Schicht aus abgestorbenem Phytogewebe bedeckt, das in großen Schuppen abblätterte. Das damit einhergehende Jucken raubte mir den Schlaf, deshalb beobachtete ich das Treiben von P-10 auf dem Balkon, von wo aus er seine Heilsbotschaft per Telepathie ins All hinaussandte. Ein oder zwei Stunden saß er völlig still, dann fing er leise an zu summen und schien jeden Moment levitieren zu wollen, doch er hob nie ganz ab, sondern begnügte sich damit, zu brummeln wie eine Biene oder Fliege, während er irgendwelche unverständlichen Beschwörungen murmelte. Im Anschluß daran verharrte er eine weitere halbe Stunde schweigend in Trance. Dann schlug er sich unvermittelt mit beiden Händen ins Gesicht, schrie und stand auf – oder versuchte es wenigstens, denn seine alten Kniegelenke verkeilten sich regelmäßig, und er war gezwungen, zehn bis fünfzehn Minuten lang in den unmöglichsten Stellungen auszuhalten. Nun ja, dachte ich mir, seine Verblendung (falls er verrückt war) oder seine Metamorphose (falls man ihn als Semi-Heiligen betrachtete), war leichter zu ertragen, als wenn er mich verflucht hätte, weil er mir die Schuld daran gab, daß man ihm in Hollymoon einen Zensor eingepflanzt hatte. Der IZ war noch vorhanden, hatte Tad mir gesagt. Kurz nach der Ankunft auf den Inseln hatte er Junior zu einem geheimen Reversionslabor gebracht, nur um zu erfahren, daß das Implantat nicht entfernt werden konnte, weil es mit dem Schädelknochen verwachsen war. Das ist vermutlich der Grund für seinen Wahnsinn (oder seine Göttlichkeit), obwohl wir es natürlich niemals mit letzter Sicherheit wissen werden. Vielleicht ist das Beharren darauf, mich Candida zu nennen, der dunkle Grund, mich wissen zu lassen, daß er mir die Schuld anlastet für sein Elend. Wenn ja, dann kann ich mich gegen den Titel nicht sträuben.
    Die Welt hat aber kein Recht, mich eine Droidenterroristin zu nennen. Auch wenn ich vielleicht mit dem Gedanken gespielt hatte, das unrühmliche Etikett gelten zu lassen; damit aber war es ein für allemal vorbei, als ich Droid!
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