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Mein Jahr als Mörder

Mein Jahr als Mörder

Titel: Mein Jahr als Mörder
Autoren: Unbekannter Autor
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fragen: Was haben sie mit Axels Vater gemacht, haben sie ihm den Kopf abgehackt? Aber es bringt nur den ersten Teil heraus. Es traut sich nicht, das Wort Kopf laut zu sagen, weil es wegen des K gestottert hätte, diesmal, von Angstbildern besessen, noch mehr als sonst. Ja, es war schlimm damals, ist die Antwort des Vaters, ich glaube, er wurde erschossen, aber er war ja ein Kommunist. Das Aber, denkt das Kind, was ist das für ein Aber? Kommunist, ein Wort zum Gruseln, trotzdem wagt das Kind noch eine Frage: Was ist das eigentlich? Nun kommt die Antwort schon fester, weniger irritiert: So einer wie die in der Ostzone, wo es keine Freiheit gibt und wo sie den Glauben verbieten wollen. Neue Fragen springen los, das Kind traut sich nicht weiterzufragen, weil alles immer komplizierter und bedrohlicher wird.
    Irgendetwas stimmt nicht. Wenn Herr Groscurth für die Ostzone war, warum ist Frau Groscurth, warum sind ihre Söhne dann hier? Und das mit der Freiheit - wenn es eine Frau gibt, die frei wirkt, gutmütig, großzügig, reiselustig, dann die Mutter von Axel und Rolf.
    Erst am nächsten Morgen fragt das Dorfkind das Stadtkind: War dein Vater Kommunist?, und will eigentlich noch fragen: Warum haben sie Kommunisten den Kopf abgehackt? Auch diese Frage bleibt im Hals stecken. Die Antwort kommt schnell: Wer sagt das? Meine Eltern. Das Stadtkind schaut das Dorfkind lange an, strafender Blick auf den Verräter. Deine Eltern kannten ihn nicht, er war nur dafür, dass der Krieg aufhört und keine Menschen totgeschossen werden. Und, fragt das Dorfkind, er war nicht für die Ostzone? Die gab es doch noch gar nicht, du Gimpel! Und fängt an zu lachen, das Stadtkind, ein gnadenloses, meckerndes, städtisches Lachen, wie es das Dorfkind noch nie gehört hat, das sich schämt, flieht und zurückzieht ins Haus.
    Auch das Dorfkind weiß, dass die Grenze zwischen Ost und West erst seit dem Krieg das Land teilt, aber es fühlt sich in solchen Gesprächen ungeschickt, unterlegen, dumm. Es kann die Flammen der beiden Wörter Kopf abgehackt nicht austreten, ersticken, löschen. Noch schlimmer die stille Wut, vor dem Freund versagt, ja den Freund verraten zu haben. Es ist fast so untröstlich wie einst, bei der ersten Katastrophe der Kindheit, als es stundenlang schluchzte und heulte, weil ihm der Freund entrissen wurde. Axel und Rolf sollten nach Berlin zurück, der Krieg war seit zwei Jahren vorbei, Rolf musste in die Schule, warum konnte Axel nicht in Wehrda bleiben? Die Flut der Tränen war das einzige Mittel gegen den drohenden Verlust, bis Frau Groscurth kam und ihm ein Buch schenkte zum Trost, ein richtiges Kinderbuch, nicht nur ein Bilderbuch, ein richtiges, zum Lesen, für später, Nils Holgersson.
    Das Dorfkind sucht das alte Buch, findet es nicht und meidet bis zum Abend den geliebten Freund. Am nächsten Morgen vertragen sie sich wieder. Das Stadtkind nimmt den Gimpel zurück. Das Dorfkind wagt viele Jahre nicht, das Schweigen über den abgehackten Kopf und die Rätsel des Kommunismus zu brechen.
    Hier, hätte ich dem psychologischen Gutachter des Gerichts gesagt, haben Sie mein Urerlebnis. Hier können Sie mit der Analyse meiner Person ansetzen. Ziehen Sie, bitte schön, aus den Tränen des Vierjährigen und den Phantasien des Dorfkinds Ihre Schlüsse.
Das Gestammel der Empörung
    Die Kritik am Urteil des Schwurgerichts war während des Wochenendes an geschwollen, die Montagszeitungen räumten mehr als eine Spalte dafür frei, alle Parteien, alle möglichen Verbände zeigten Entrüstung, im Ausland regten sich Proteste, selbst die Springer-Zeitungen schimpften : Verhöhnung des Rechtsstaats. Ich war in bester Gesellschaft, auch Springer kann mal die Wahrheit sagen, und fühlte mich von allen Seiten bestätigt, was für ein seltenes Glück.
    Ein Hoch auf Roland Freisler, so brachte es der Spiegel auf den Punkt. Ich habe sie noch gefunden im Karton mit dem alten Material, die Zeilen, die ich damals angestrichen hatte: Unter Hitler konnte man hängen, erschlagen, vergasen, erschießen, abspritzen - und dafür wird man natürlich heute bestraft. Doch richten - richten konnte man unter Hitler ohne Folgen nach Hitler. Man war dem Gesetz , und das ist kein strafwürdiger
    Zustand, sondern voll ehrbarer Tragik. Das Richten ist eine prächtige Sache. Wer wird denn schon mit dem bestimmten Vorsatz ans Richten gehen, das Recht zu beugen - und sich das auch noch später nachweisen lassen. Doch es soll sich noch einmal jemand
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