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Mein Jahr als Mörder

Mein Jahr als Mörder

Titel: Mein Jahr als Mörder
Autoren: Unbekannter Autor
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Glas kam, Wasser. Bruno wollte ihm einen Gefallen tun und fragte irgendwann, wie er sich fühle im Naziland. Er fühle sich nicht im Naziland, sagte er, die Leute hier, jung, lässig, mit langen Haaren, sind gewiss keine Nazis. Außerdem seien nur Nazis für den Vietnamkrieg, ihr seid dagegen, alles klar. Hugo war einer der leidenschaftlichsten Gegner dieses Krieges und der Gefechte, die sein Land in der Dritten Welt anzettelte. Man hätte ihn für den Erfinder der Parole Make love not war halten können. Wir klagten, wie schwer das sei, gerade in Berlin, wo man bei jedem Mucks mit der Keule des Antiamerikanismus geschlagen werde. Wenn euch jemand so kommt, lachte Hugo, dann schreit: Wir sind die Proamerikaner! Wir demonstrieren für unsern Freund Hugo aus San Diego und die Millionen Amerikaner, die so denken wie er!
    Aber wenn er sich vorstelle, dreißig Jahre zurück, hier, hundert Prozent bullshit, vielleicht genau dies Lokal voll SA oder SS. Bullshit, das imponierte mir, wie er das Wort Nazis vermied und einfach bullshit sagte. Ute klärte ihn auf, dass bei den letzten freien Wahlen in Berlin die Bullshit-Partei nur die Hälfte der Stimmen erhalten hatte.
    Eine gute Gelegenheit, dachte ich, vom Widerstand zu reden, nicht vom Widerstand der Offiziere und der Kommunisten, sondern von Groscurth, Havemann und der Europäischen Union, doch ich schreckte zurück, weil ich die Geschichte der Gruppe nicht kannte und nichts Spannendes zu berichten wusste.
    Also lenkte ich das Gespräch auf den freigesprochenen Nazirichter R. Allgemeine Empörung am Tisch, dann verkündete der Engel aus London seine Botschaft: Peace, peace to everyone! Wenn wir die Welt ändern wollten, dürften wir nicht in alte Muster fallen, by no means. Jedes alte Muster verweigern, jeden Gewaltakt vermeiden, jeden Konflikt entschärfen. Auf meinen Einwand, das seien Mörder und Verbrecher, meinte er: Was soll das, ein alter Mann der Bullshit-Partei im Gefängnis, außerdem, denk an Oscar Wilde: Vergib deinen Feinden, das ärgert sie am meisten.
    Ute widersprach: Hin und wieder Gewalt, das sei nur Gegengewalt, hin und wieder ein Molotowcocktail, das müsse sein, um die Leute aufzurütteln, die Bewegung voranzu-bringen. Solche Sprüche waren in Mode, seit im November die Schlacht vor dem Landgericht am Tegeler Weg gefeiert wurde. Das Wort Gewalt hatte eine pathetische Aura gewonnen. Ute versuchte den Engel aus London zu begeistern: Ein linker Rechtsanwalt, der Mahler, sollte für die Folgekosten der Demonstrationen und Brandsätze gegen den Springer-Kon-zern aufkommen (die, wie man heute weiß, vom Berliner Verfassungsschutz stammten), vor dem Gericht wurde demonstriert, die Polizei mit Pflastersteinen in die Flucht geschlagen, der erste Sieg mit roten Fahnen.
    Utes Meinung und ihr forscher Ton beängstigten mich, ich fand es kindisch, gegen die Polizei zu kämpfen, und war froh, dass Hugo mir die Antwort abnahm.
    - Violence is bullshit, sagte er, aus dieser Falle kommt ihr nie mehr heraus, damit schlagt ihr euch nur selbst. Ihr sollt jede Gewalt verweigern, allem, was euerm Gefühl widerspricht.
    Catherine und ich nickten, und das beflügelte ihn zu einer längeren Grundsatzrede: Wir sollten nichts tun außer love, love, love, möglichst viele Menschen lieben, das sei der einzige Weg. Hätten die Bullshit-Nazis die Menschen geliebt, statt sie zu hassen, würden die Bullshit-Americans die Vietnamesen, die Bullshit-Russen die Tschechen lieben, statt sie mit Napalm zu verbrennen, mit Panzern zu unterdrücken, so ungefähr fuhr er fort- und ich spürte, dass auch der Engel aus London ein Ideologe war. Seine Sanftheit, ob von Marihuana oder LSD stimuliert oder nicht, war auch nur ein Mittel, sich die Welt zu vereinfachen. Die Parole love and peace, eine hübsche neue religiöse Verführung, die der alten Religion verblüffend ähnlich war, Buddha und Luther zogen an einem Strang.
    Selbst dieser sanftmütige Mensch hat mich nicht abgebracht von meinen Plänen. Im Gegenteil, je heftiger der Engel aus London predigte, desto weniger friedfertig wollte ich sein.
Sprechstunde
    Komm nicht vor acht, hatte Frau Groscurth gesagt, trotzdem war ich zu früh. Also lief ich ein paar Schritte, die kurze Straße am Witzenlebenplatz entlang, die im spitzen Winkel vom Kaiserdamm abging. Rechts lag dunkel der Lietzensee, die Parkwege still und unbeleuchtet, Schillers Denkmal im Dunkeln, links das mächtige Gebäude des Kammergerichts.
    Noch war ich schlecht informiert über
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