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Mein Jahr als Mörder

Mein Jahr als Mörder

Titel: Mein Jahr als Mörder
Autoren: Unbekannter Autor
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Kalten Krieg, konserviert im Glas mit blassen Paprikastücken, Letscho aus Ungarn, das vor mir auf dem westlichen Tisch auf dem westlichen Teller lag. Ich wagte nicht zu sagen, dass es mir nicht schmeckte.
    Endlich fasste ich Mut und fragte nach Georg Groscurth. Der Anfang war am schwierigsten. Wie spricht man über einen, der seit vierundzwanzig Jahren tot ist? Ermordet, Kopf abgehackt von Leuten, die leben und frei herumlaufen? Wie legt man, wenn man wenig Erfahrung mit der Einfühlung hat, einen Finger auf eine so riesige Wunde? Ich hatte lange überlegt, wie ich ihn bezeichnen sollte, mit dem Vornamen, als Axels Vater, als Axels und Rolfs Vater, und sagte dann, als wäre sie mit dem Toten noch verheiratet: dein Mann.
    - Ach, was soll ich da erzählen, antwortete Anneliese Groscurth ungefähr, was hab ich denn schon zu erzählen, es ist so lange her, ich war doch nur am Rand dabei.
    - Aber dich haben die Nazis doch auch verhaftet?
    - Ja, acht Wochen.
    Offenbar muss ich sie mit meinen Blicken zum Weiterreden gedrängt haben, denn sie antwortete barsch:
    - Darüber spricht man nicht mit dem Wurstbrot in der Hand!
    Ich schämte mich für meine Plumpheit und schwieg.
    -Das bisschen, was ich weiß, sagte sie nach einer Weile, hab ich oft genug erzählt. Und das wird dann auch noch verfälscht. In der DDR hat ihn Havemann zum Kommunisten erklärt, obwohl er ein Sozialist war, und deswegen verteufeln sie mich hier im Westen seit zwanzig Jahren als Kommunistin. Georg wollte keine Nazis und keinen Krieg, das ist alles. Mehr will ich auch nicht. Aber heute wird dir ja alles im Mund rumgedreht. Die wahre Geschichte interessiert keinen mehr, außer Rolf und Axel, die wissen eine Menge, frag die doch erst mal.
    - Mich interessiert sie auch.
    Sie seufzte und fragte, warum ich jetzt damit käme.
    - Wegen R., sagte ich und gestand mein Unwissen über die Männer von der Europäischen Union, die R. zum Tod verurteilt hatte.
    Sie antwortete nicht, ich wurde verlegen und machte, um mir ihre Sympathie zu erkaufen, mein leichtsinnigstes Versprechen:
    - Ich würd gern was schreiben über die Gruppe, vielleicht.
    - Du bist gut! Keine Ahnung und dann was schreiben!
    - Natürlich muss ich mich informieren, deshalb bin ich ja hier.
    - Ganz schön stürmisch, junger Mann! Aber das trau ich dir nicht zu, mein Lieber. Da musst du erst noch einen Sack Salz essen, wie man in Wehrda sagt.
    Ich wurde rot.
    - Na ja, sagte sie, als sie mich geschlagen sah, es schadet nicht, dass du dich für die alten Sachen interessierst. Ich geb dir was mit, was du lesen kannst, und dann frag nochmal nach, meinetwegen.
    Das reichte mir nicht, und ich beging die nächste schwere Taktlosigkeit. Nach der Frage, ob sie bei der Verhandlung vor dem Volksgerichtshof dabei gewesen sei, was sie bejahte, wollte ich hören, ob sie sich an R. erinnere. Lange sagte sie nichts, dann fuhr sie auf:
    - Ich seh nur Freisler vor mir, ich hör Freisler, seine Stimme macht mir immer noch Albträume, wie der schrie, wie der keifte und brüllte, und ich dachte: Wie krieg ich jetzt noch ein Gnadengesuch zustande? Meine schrecklichsten Stunden, ich, ich kann das nicht...
    Das Telefon rettete uns.
    - Ein Notfall, ich muss weg, eine alte Patientin drüben in der Danckelmannstraße, wir reden ein andermal weiter, sagte sie, während sie Wurst, Letscho, Käse, Butter in den Kühlschrank räumte.
    Sie führte mich ins Wohnzimmer, griff nach einem Ordner, holte einen Artikel heraus:
    - Hier, nimm das mal mit, hab ich doppelt, stimmt auch nicht alles, aber ganz informativ ...
    Ich wollte sie nicht aufhalten und fragte nicht, was sonst in dem Ordner war. Als sie ihn wieder ins Regal stellte, sah ich einen offenen Karton mit Fotos daneben.
    - Fotos gibt es auch?
    - Ja, das sind die, die ich nicht im Album habe. Sie griff drei Fotos heraus.
    - Zwei mit Rudolf Heß und das mit Havemann, die hab ich mehrfach, aber bring sie mir zurück.
    So verwirrt war ich von dem Namen Rudolf Heß, dass ich kein Wort herausbrachte, während wir die Mäntel anzogen, sie den Arztkoffer nahm, die Tür verschloss und mit mir die Treppe hinunterging.
    - Brauchst gar nicht so betreten zu gucken, Georg war nebenbei auch der Leibarzt von Heß. Vielleicht erzähl ich dir ein andermal mehr, falls dich das wirklich interessiert.
    Unten auf dem Kaiserdamm, als wir uns verabschiedeten, sagte sie:
    - Versprich mir nur eins, frag mich nie wieder nach Freisler.
Das Buch zum Mord
    Auf dem Schwarzweißbild eine schwarze Limousine
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