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Mein Jahr als Mörder

Mein Jahr als Mörder

Titel: Mein Jahr als Mörder
Autoren: Unbekannter Autor
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planen? Und das Buch zum Mord schreiben? Ich müsste Frau Groscurth für viele Gespräche gewinnen, nach Wehrda und Unterhaun reisen und die Leute ausfragen, müsste versuchen, zu dem halb eingesperrten Robert Havemann nach Grünheide vorzudringen und, noch schwieriger, nach Spandau zu Rudolf Heß hinter die Mauern des Zuchthauses der Kriegsverbrecher, müsste im Krankenhaus Moabit recherchieren und die Akten des Volksgerichtshofs auf stöbern, alles ordnen und zu einem Buch schnitzen. Nebenbei den Richter R. observieren, Material über ihn sammeln und wie ein Profi die Attacke planen, Tatwaffe, Tatort, Tatzeit.
    Nicht die Aussicht auf eine Gefängnisstrafe ließ mich zurückschrecken, ich rechnete sowieso nur mit wenigen Jahren. Nicht die Angst vor einem verpfuschten Leben, da erwartete ich eher das Gegenteil. Alle stolzen Rechtfertigungen für Buch und Mord erschienen schlüssig. Alle Gleichungen gingen auf -nur ein Zweifel störte: zu viel für einen, es ist nicht zu schaffen.
Langer Samstag
    Vor dem Schöneberger Rathaus stand ein riesiger Weihnachtsbaum, auf der linken Seite mit Plakaten von Davidsternen und auf der ändern mit Mao-Tse-tung-Bildern geschmückt. Niemand lachte über das Bild, ich auch nicht: ein christlicher Altar mit jüdischen und kommunistischen Seitenflügeln. Darüber schwebte der heilige Geist von John F. Kennedy, der hier fünf Jahre zuvor seinen berühmten Satz gesprochen hatte, urbi et orbi. Vor dieser Kulisse war ein bunter Haufen, höchstens dreitausend Menschen, zum Protest gegen das Urteil für R. versammelt.
    Wenn viele Leute sich zeigen bei der Demonstration, hatte ich überlegt und mich bei Rousseau für zwei Stunden beurlaubt, macht das Eindruck in der Welt: Die Deutschen nehmen den Freispruch für ihre Freislers nicht hin. Mit dem Gang auf die Straße hoffte ich meinen Frieden am Schreibtisch zu erkaufen: Lass ab von R.! Eine Woche Chaos im Kopf reicht!
    Im Karton mit den alten Papieren hat sich ein Flugblatt dieses Tages erhalten: Jetzt reicht es uns! Wi rfordern die vier Siegermächte USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich auf, ihre Besatzungsrechte in Westberlin wieder unmittelbar auszuüben, um die Durchführung der Beschlüsse von Jalta und Potsdam zu sichern. Diese Abkommen schreiben zwingend vor, daß der Nazismus in Deutschland mit der Wurzel auszurotten ist. Wir fordern von den Besatzungsmächten: Macht endlich Ernst damit!
    Unter dem Weihnachtsbaum Beate Klarsfeld, zum Star geworden durch die Ohrfeige gegen den richtigen Mann am richtigen Ort. Sie erinnerte an eine Krankenschwester, sie redete ohne wilde Phrasen und vertrat einen entschiedenen Antinazismus. Sie war schlecht zu verstehen. Der Senat hatte den Veranstaltern jede technische Hilfe verweigert, Lautsprecheranlage und Stromanschluss gesperrt, man musste sich mit kaum verstärkten Stimmen begnügen, auch die Kerzen im Baum leuchteten nicht. Einen Satz habe ich behalten: Jeder wird allein seinen Kampf zu führen haben. Beifall gab es dafür nicht, eher Pfiffe, es war keine gute Zeit für Einzelkämpfer. In den folgenden Wochen wollte ich mir einbilden, Frau Klarsfeld habe den Satz nur für sich und für mich gesprochen.
    Das Schwierigste an diesem Nachmittag war, den richtigen Platz zu finden und nicht mit einer unsympathischen Gruppe identifiziert zu werden - das waren die meisten. Ganz vorn wäre es mir am liebsten gewesen, bei den Studenten mit den Davidsternen und Beate Klarsfeld. Nach ihrer Rede hatte ich einen Moment lang den Impuls, zu ihr zu laufen und zu gratulieren, aber natürlich traute ich mich nicht. Bei den Hauptleuten des SDS störte mich das wichtigtuerische Gehabe. Noch weniger passten mir die von Ostberlin gefütterten Westberliner Kommunisten, die wieder einmal die Antifaschistische Aktionseinheit forderten. Blass und brav waren sie mit vielen hundert älteren Leuten aufmarschiert, das Urteil bestätigte ihr Bild der Bundesrepublik: Für die Henker Staatspension, für die Opfer neuer Hohn! Sie verteidigten den Terror der Russen gegen die Tschechen, auch deshalb mied ich sie.
    Am meisten stießen mich die jungen Maoisten ab, die sich Rote Garde nannten, im zackigen Chor «Mao Tse-tung!» brüllten und Maos Bild in die Luft reckten. An langen Holzstäben hielten sie die Plakate in die Luft, überall das gleiche überlebensgroße Foto mit dem milden Propagandalächeln des Chinesen. Das einzige Bild, das am Tag des Protests gegen die Freispruch-Richter gezeigt wurde, hundertfach, das
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