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Mein Jahr als Mörder

Mein Jahr als Mörder

Titel: Mein Jahr als Mörder
Autoren: Unbekannter Autor
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im Schnee. Drei weiß gekleidete Männer begrüßen zwei dunkel gekleidete Männer. Alle uniformiert, die einen mit Arztkittel, die ändern mit Parteimantel und Gürtel. Die dunkel gekleideten Herren tragen die zur Uniform passenden Mützen, die weiß gekleideten sind ohne Kopfbedeckung. In der Mitte des Bildes der zweithöchste Mann des Reiches, bekannt als Stellvertreter des Führers, der einem der Ärzte die Hand schüttelt. Hinter diesem steht am rechten Bildrand, den hohen Gast fest im Blick, ein jüngerer Arzt. Im Hintergrund des kleinformatigen Fotos, 6 mal 9, eine kahle Hecke, Bäume, Schnee, Gebäude mit Fenstern.
    Unter der Schreibtischlampe zu Hause sah ich mehr als beim ersten flüchtigen Blick im dünnen Innenlicht des Autos. Man könnte denken: Aha, die Nazis und ihre Ärzte, Mörder und ihre Komplizen unter sich, das übliche Schwarzweißbild. Die Bleistiftschrift auf der Rückseite verriet die Namen: R. Heß im Robert-Koch-Krankenhaus Moabit, rechts Dr. Groscurth.
    Das zweite Foto: innen, drei Männer vor der Tür eines Sprechzimmers, der Nazi vorn, der junge Arzt dicht hinter ihm, im Hintergrund ein zweiter Arzt. Heß grüßt und lächelt, Mütze und Handschuhe in der Linken. Der junge Arzt, Groscurth, halb verdeckt hinter dem mächtigen Mann, hat die Hand auf der Türklinke des Sprechzimmers. Im Lächeln des Arztes ist der Schalk zu ahnen, ein stiller Stolz: Seht her, welchen bedeutenden Patienten ich da habe, gleich ist er in meiner Hand, der Stellvertreter des Führers.
    Zwei Männer, der eine steht im Geschichtsbuch, der andere ist, obwohl ein größerer Held, vergessen.
    Er starb für ein besseres Deutschland stand über den zwei Seiten der Zeitschrift Deine Gesundheit aus der DDR. Das Heft, das Frau Groscurth mir mitgegeben hatte, war gut sechs Jahre alt, Mai 1962. Der Verfasser ein Arzt, der 1940 bei Groscurth promoviert hatte und einen biographischen Abriss aus persönlicher und medizinischer Sicht vorlegte.
    Ich habe den Artikel noch einmal hervorgeholt, den ich damals mit diffuser Abneigung gelesen habe. Sind nicht alle Widerstandskämpfer für ein besseres Deutschland gestorben? Groscurth hatte dem Verfasser offenbar das Nazidenken abgewöhnt, und dies Verdienst wurde den Lesern nun als marxistische Schulung verkauft. Kurz nach dem Bau der Berliner Mauer sollte Georg Groscurth als Vorbild eines linientreuen DDR-Bürgers hingestellt und als Kämpfer für die Niederhaltung und Ausrottung des Faschismus und Militarismus, ja des Imperialismus in Westdeutschland eingemeindet werden.
    Immerhin, einige Fakten: Bauernsohn aus Unterhaun bei Hersfeld, nicht weit von Wehrda - der Vater verkauft ein Stück Land, damit der Sohn studieren kann - beste Zensuren und Examen - Freundschaft mit Havemann seit 1932 - Spitzenmediziner im renommierten Krankenhaus Moabit, wo er, weil kein Parteimitglied, erst 1939 Oberarzt wurde - mit Havemann im Forschungslabor des Krankenhauses, Treffpunkt der Anti-Nazis, offene politische Gespräche - mit den Freunden Paul Rentsch, Dentist, und Herbert Richter, Architekt, entsteht die Gruppe - ihr Name Europäische Union wird von Georg erfunden.
    Zum Thema Widerstand durfte 1962 noch Havemann zitiert werden: Anfänglich beschränkte die zunächst kleine Gruppe ihre Tätigkeit auf die Sicherung verfolgter Antifaschisten und Juden. Sie sorgte für illegal lebende Genossen, beschaffte falsche Ausweispapiere, Pässe, Kennkarten und Reisebescheinigungen. Eine Anzahl verfolgter Juden wurde auf diese Weise , andere wurden versteckt und mit Lebensmitteln versorgt. Groscurth habe jungen Leuten, die nicht an die Front wollten, eine besondere Rezeptur empfohlen, die sie so schwer krank erscheinen ließ, dass auch die härtesten Musterungsärzte getäuscht wurden-das Rezept wurde den DDR-Lesern nicht verraten.
    Der Artikel hatte mir einige Neuigkeiten geliefert, und das Foto von Groscurth und Havemann passte dazu: Zwischen Laborgeräten, Gläsern, Flaschen, Kolben schauen zwei junge Männer in weißen Kitteln in die Kamera, der schmalere, Havemann, mit einer Zigarette in der Hand, an den Arbeitstisch gelehnt, der etwas untersetzter wirkende Groscurth mit einer Kaffeetasse, auf dem Stuhl sitzend. Die beiden verstehen sich, das sieht man sofort. Ihre Nähe wirkt nicht gestellt. Gerade das entfachte meine Neugier.
    Zwei Freunde, der eine macht seine Karrieren, der andere ist vergessen. Warum wird der eine, der mit der Kaffeetasse, hingerichtet, warum überlebt der andere, der mit
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