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Mein Jahr als Mörder

Mein Jahr als Mörder

Titel: Mein Jahr als Mörder
Autoren: Unbekannter Autor
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einem Jahr oder länger hatte ich Anneliese Groscurth nicht mehr gesehen.
    (Wenn ich unsere früheren Dialoge zu rekonstruieren versuche und in das Geständnis einbaue, vernehme ich den schwerfälligen Ton, das hölzerne Denken. Aber es war so, wir haben damals nicht eleganter, witziger, intelligenter geredet, und deshalb muss, wer wissen will, wie ich zum Mörder wurde, mit diesen spröden Dialogen vorlieb nehmen. Alles zu schönen würde nichts nützen. Mich klüger und geschickter zu malen wäre Lüge. Nur in der Enge dieser Sprache, leicht pathetisch, in jeder Silbe politisch eifernd, konnten die Pläne keimen und blühen.)
Der Engel aus London
    Die besten Einfälle muss man für sich behalten, die fatalen erst recht. Trotzdem diskutierte ich jeden Tag darüber - ohne dass meine Gesprächspartner es merkten, zum Beispiel mit dem Engel aus London.
    Er war der Freund meines Freundes Bruno und ein bisschen auch mein Freund, einer der liebenswürdigsten Menschen mit einem der hässlichsten Vornamen, Hugo. Seit wir uns, zwei Jahre zuvor, in London mit ihm verbrüdert hatten, nannten wir ihn Angel of London, obwohl er Amerikaner war. Ein Buchhändler von der tüchtigsten Sorte der Hippies, Their Majesties' Bookseller. Mit seinem Laden in East Hampstead belieferte er nicht die Queen, er diente den wahren Königen Großbritanniens als Hoflieferant, den Beatles und den Rolling Stones. Als wir ihn kennen lernten, im Spätherbst 1966, verkehrten bei ihm Paul McCartney und Mick Jagger, Brian Jones, John Lennon und die ändern. Sie holten oder bestellten hier die Zeitschriften aus dem Underground der USA, Anleitungen zur Meditation aus Indien, Mao-Bibeln, Buddhas Lehren, Broschüren über vegetarische Kost, Gedichte und was sie sonst an geistigem Futter brauchten. Vielleicht war der sanfte Hugo der einzige Mensch, der mit den beiden rivalisierenden Gruppen befreundet blieb.
    Am 10. Dezember um 19.46 Uhr, so steht es im Taschenkalender, war der Engel aus London am Bahnhof Zoo angekommen. Sein erster Besuch in Deutschland, er wollte die Mauer sehen, die Proteste und uns, er hatte sogar verkündet, vielleicht hier leben zu wollen.
    Nicht nur vor Catherine habe ich damit angegeben, dass der Freund von Mick Jagger und John Lennon, von Keith und Paul auch der Freund von Bruno und mir war. Sie schwärmte, nicht sehr originell, für Lennon. Hugo aber protzte nicht damit und wollte nicht mit Fragen nach dem Befinden der Stars belästigt werden, seine Botschaft lautete: Kein Mensch ist mehr wert als ein anderer.
    Als ich ihm an diesem Abend in Brunos Wohngemeinschaft Catherine vorstellte, sagte er sofort:
    - Wow! what a marvellous woman!
    Seine Gewohnheit, unbekannte Menschen fröhlich mit einem Kompliment zu begrüßen, funktionierte in Berlin besonders gut, wo Höflichkeit und Charme fast als Unsitte galten. Catherine war begeistert, Hugo strahlte. Sein kleines, immer lächelndes Gesicht zierte eine schlichte Nickelbrille mit runden Gläsern, und das halblange, halbblonde Haar mit Mittelscheitel hätte ein Maler von Altarbildern nicht besser um den Kopf fügen können. Er trug ein indisches Hemd ohne Kragen, dicht am Hals zugeknöpft, und zog eine Art Poncho über. Wir stiegen zu viert in meinen alten Fiat 500, ich steuerte eine Kneipe in Charlottenburg an, wo wir Brunos Freundin treffen wollten. Hugo fragte, warum es zwischen den Häusern so viele Lücken gäbe, wir antworteten mit Wörtern wie war, bombs, British and American airplanes, und von hinten sagte Bruno:
    - Well done.
    - But that was twenty-three years ago?
    - The Germans like destruction, sagte Bruno.
    Im Schotten war es zu voll, auf einen Tisch nicht zu hoffen. Alle drängten hierher, seit ein paar Häuptlinge der Bewegung an dieser Ecke Charlottenburgs ihr Bier tranken. Außerdem profitierte der Ort von dem Gerücht, der Baader hätte sich hier öfter geprügelt, bevor er in Frankfurt Kaufhäuser in Brand setzte. Deshalb hockten an den Tischen viele Journalisten, die Storys, und linke Touristen, die Anschluss an die wilde Welt der Revolution suchten. Die studentischen Stammgäste standen gedrängt vor der Theke, an Türen und Wänden und bei milderem Wetter draußen, Biergläser in der Hand. Als wir Brunos Freundin Ute gefunden hatten, zogen wir in eine andere Kneipe.
    In meinem Geständnis muss nur eine Episode dieses Abends erwähnt werden, die Bullshit-Diskussion.
    Der Engel aus London trank keinen Alkohol, bestellte Tee, und als die Kellnerin mit dem Teebeutel im
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