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Mein ist der Tod

Mein ist der Tod

Titel: Mein ist der Tod
Autoren: Gert Heidenreich
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glaube, ich werde es Freya schenken.
    Er schloss seine Gedichtmappe und klemmte sie sich unter den Arm.
    Dann bis morgen.
    Martina nickte und sah ihm nach. Jemand legte ihr die Hand auf den Arm. Es war Ehrlicher. Er sagte vertraulich leise: Stimmt das mit der Kunst als Geldanlage?

XVII

    Die Dehnung der Zeit

    DIE NACHT WAR FAST SOMMERLICH WARM.
    Frank! Verena Züllich schrie den Namen ihres Sohns. Sie hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Sie tastete sich an den Häusern der Hauptstrasse entlang, taumelte auf die Straße und wieder zurück auf den Bürgersteig. Über ihrem grünen Morgenmantel raffte sie ein großes, schwarzes Tuch mit beiden Händen vor der Brust zusammen. Am Schillerplatz blieb sie stehen und lehnte sich an die Mauer des Redaktionsgebäudes, die blaue Leuchtschrift Zungerer Nachrichten tanzte vor ihren Augen.
    Ihr Kopf fiel nach rechts und schlug gegen die Wand. Der Schmerz ließ sie zurückzucken, und sie setzte sich wieder in Bewegung.
    Die Lichter der Straßenlaternen verloren ihren Halt und tanzten wie große Schneebälle durch die Nacht.
    Plötzlich sah sie ihren Sohn. Er trat auf den Neldaplatz, blieb stehen, als er ihren Ruf hörte und wandte sich zu ihr um. Sie rannte auf ihn zu, streckte die Hände nach ihm aus: Frank! Frank!
    Er wich einen Schritt zurück, das Straßenlicht fiel auf sein Gesicht, und sie erkannte ihren Irrtum. Diese von Falten umringten Augen gehörten nicht ihrem Frank. Es waren Schildkrötenaugen. Dennoch hielt sie ihn am Arm fest.
    Mein Sohn, ich muss meinen Sohn wiederhaben, man hat mir meinen Sohn genommen!
    Korell riss sich los, sah sie aufs Pflaster fallen und lief in den Hämmerling zur Brückengasse.
    Verena Züllich kam schwankend wieder auf die Beine. Ihre Knie schmerzten. Sie schleppte sich weiter zum Kornmarkt hinunter.
    Korell überquerte die Brücke. Jenseits der Mühr hatte er seinen Wagen am Unteren Treidelweg geparkt, wo keine Straßenlaternen standen.
    Die silberne Motorhaube fing das Mondlicht ein und schimmerte in der Nacht. Er legte seine Gedichtmappe ab, lehnte sich mit dem Rücken an die Fahrertür und sah zu den Sternen auf. Die Wut, die er in der Galerie noch beherrscht hatte, machte sich Luft.
    Arschlöcher! Banausen!, schrie er in die Nacht. Verblödetes Pack! Barbaren! Analphabeten!
    Der Kränkungsschmerz saß mitten in seinem Körper, eine beißende Bitterkeit, er krümmte sich zusammen und wurde sie nicht los, er stampfte mit den Füßen auf die Erde, trampelte die Ignoranten tot, die seine Gedichte nicht verstanden, nicht würdigten, die nicht wussten, dass er, Günther Korell, ein bedeutender Dichter der Gegenwart war, bedeutender als viele, die rezensiert wurden, ihre Verlage hatten, Preise erhielten.
    Langsam beruhigte er sich. Richtete sich auf und sog die Nachtluft tief ein.
    Martina war schuld, sie hatte ihn vorgeführt, nicht seiner Größe entsprechend angekündigt, sie hatte versäumt, die Aufmerksamkeit herzustellen, die seine Kunst brauchte. Aber sie würden sich an ihn erinnern, sie alle würden angeben mit ihm, später, wenn sein Ruhm ihr läppisches bürgerliches Renommee weit überstrahlte.
    Er lachte leise. Das arme dumme Pack, das keine Ahnung hatte von der Wichtigkeit seines Auftrags. Von der Dichterfreundschaft zwischen Dante und Korell. Von dem Heldenmut, mit dem er das Böse aus der Welt entfernte.
    Er lief um den Wagen herum auf die Fahrerseite, stieg ein und startete den Motor. Ohne das Licht einzuschalten, fuhr er auf dem Unteren Treidelweg zur Floßlände. Das Mondlicht reichte, um den Weg zu sehen, der Boden war weich, aber er hielt, und Korell kam im Schritttempo voran. Es gab keinen Grund zur Eile. Der Reiter der Apokalypse ließ sich Zeit und kostete jeden Meter aus, den er seinem Opfer näher kam.

    Solange es Wein gab, blieben die Gäste. Am Schluss saßen Herking und Swoboda noch mit Martina und Michaela Bossi am Glastisch neben dem Eingang zusammen, tranken Espresso, die Damen rauchten. Swoboda hatte längst angekündigt zu gehen:
    Ich fahre morgen früh zurück, um am Fenster weiterzuarbeiten.
    Dann war er doch geblieben und inhalierte den Zigarettenrauch der anderen.
    Und was halten Sie nun von seinen Gedichten, fragte die Galeristin und blickte Herking an.
    Ich?
    Ja, wer sonst, Sie sind doch der Kenner!
    Er hob abwehrend beide Hände. Lyrik, das ist so eine Sache.
    Swoboda lachte. Feigling.
    Nein wirklich! Herking musste ebenfalls lachen. Im Ernst, ich kann dazu nicht viel sagen, das ist nicht
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