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Mein ist der Tod

Mein ist der Tod

Titel: Mein ist der Tod
Autoren: Gert Heidenreich
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sich beherrschen, ihr war bewusst, dass Angst die Lage verschlimmerte.
    Aminata Mboge begann, gegen sich zu kämpfen. Sie befahl sich selbst, sich zu konzentrieren. Rief sich die Grundregel des Kickboxens in Erinnerung: Alle Sinne auf das Ziel ausrichten.
    Was nicht zu sehen war, hatte sie gehört: Sie befand sich am Fluss. Der Geruch bestätigte, was sie dachte. Sie hatte ihn mittags am Fischerhaus wahrgenommen: Feuchtes Holz, Algen, die modrige Mischung, die sie aus ihrer Kindheit kannte, wenn sie am Ufer des Gambia im Schwemmholz spielte.
    Die Angst war stärker. Sie flutete Kopf und Herz, sie ließ den Körper zittern und jagte mit dem Puls die Atmung hoch, bis Aminata begriff, dass sie wieder das Bewusstsein verlieren würde, wenn es ihr nicht gelang, flach und ruhig zu atmen.
    Mitten in ihrem Kampf gegen sich selbst wurde der jungen Frau bewusst, dass ihr der Tod bevorstand. Sie sah sich selbst im Halbdunkel des Fischerhauses auf dem Boden liegen. Wenige Meter neben ihr war ihr Großvater erschlagen worden. Jetzt hatte Korell sie zum Sterben an seine Seite gelegt, und bald würde Yoro Mboge kommen und seine Enkelin hinüberführen in die andere Welt, die der Ahnen.
    Plötzlich wurde sie ruhig. Sie dachte an ihren Vater, an die Reise, die sie zu dem Nachtregenbogen über den Barrakunda Falls unternommen hatten, sah wieder das weiße Krokodil im Vollmond über dem Fluss und hörte, wie ihr Vater sagte:
    Dein Großvater war ein französischer Soldat. Ein Tirailleur Senegalais. Er hieß Yoro Mboge. Versprichst du mir unter dem Nachtregenbogen, dass du mit Dankbarkeit und Ehrfurcht an ihn denkst? Denn er ist dein Ahne. Er hört und sieht alles, was du tust, und er gibt dir ein gutes oder ein schlechtes Schicksal.
    Sie glaubte damals genau so wenig an die Ahnen wie ihre Altersgenossen, doch sie hatte ihrem Vater versprochen, worum er sie gebeten hatte. Beim weißen Krokodil. Und bei Jesus Christus. Jetzt fand sie in der Vorstellung, dass ihr auf mystische Weise geholfen werden könnte, eine verwirrende Hoffnung; nichts davon konnte sie für realistisch halten – dennoch fühlte sie sich davon getröstet.
    Sie schloss die Augen, spürte, dass aus den äußeren Winkeln Tränen zu den Schläfen liefen, dachte an die kleine Blechdose mit der Erkennungsmarke, an die Anstecknadel mit dem gestiefelten Kater und das Foto von Freya, und hörte wieder ihren Vater sprechen, als er ihr das Döschen gegeben hatte:
    Gib gut darauf acht. Kann sein, dass es dich beschützt, man weiß nie.

    Wenn Martina Matt in ihre Galerie einlud, kam, wer sich in der Stadt für bedeutend hielt, und so drängten sich auf der Vernissage die Gäste, räumten in einer halben Stunde das reichhaltige Buffet leer, sprachen kräftig dem Sauvignon Le Petit Loire und dem Saint-Julien von Talbot zu und lobten die ausgestellten Chagall-Radierungen mit Aquatinta aus dem Zyklus der Illustrationen zu den Fabeln von La Fontaine: Museumsdrucke von achthundert Euro aufwärts. Frau Matt bot an, signierte Originalabzüge ab sechseinhalbtausend durch eine Galerie in Amsterdam zu besorgen.
    Potente Käufer fehlten an diesem Abend. Die Familie Paintner, für die Chagall das Äußerste an gewagter Moderne gewesen wäre, war in Trauer und zudem in Schwierigkeiten. Liesel Ungureith, Besitzerin des Fleischkonzerns gleichen Namens und mit Abstand die reichste Frau in Zungen, befand sich, wie so oft, auf Reisen. Der Dritte unter den sogenannten Geldigen, der sechzigjährige Brauereichef Xaver Sinzinger, hatte die Aktienmehrheit an dem einstigen Familienunternehmen schon vor Jahren einem belgischen Bierkonzern überlassen und hielt sich mehr auf seiner Farm nahe Kapstadt als in Zungen an der Nelda auf. So auch jetzt. Nur sein enger Freund Heinz Ehrlicher, der am Ufer der Mahr einen großen Baustoffhandel betrieb, war in seiner Funktion als parteifreier Oberbürgermeister gekommen und nicht gewillt, Kunst zu kaufen.
    Seine Sorge galt der Angst in der Stadt. Als er in dem Gedränge auf Alexander Swoboda traf, hob er sein Glas, stieß mit ihm an und sagte:
    Wenn Sie noch Hauptkommissar wären, Swoboda, dann hätten Sie das Problem schon längst gelöst!
    Er sprach so laut, dass es nicht nur die Umstehenden hören konnten. Auch Klantzammer, der nicht als Polizeirat, sondern als Kunstliebhaber an der Vernissage teilnahm, bekam mit, was der Oberbürgermeister vom derzeitigen Zustand des Polizeipräsidiums hielt.
    Swoboda war froh, dass Törring nicht anwesend war, und widersprach
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