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Mein ist dein Tod

Mein ist dein Tod

Titel: Mein ist dein Tod
Autoren: Volker Ferkau
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inzwischen viele Präventionsprojekte. Besonders das LKA Berlin vermittelt Infoabende, Seminare und Workshops, in denen man lernen kann, wie Deeskalation funktioniert. Das beginnt mit der Kommunikation mit den Tätern bis hin zum richtigen Absetzen eines Hilferufs an die Polizei. Darüber werden wir später noch reden, denn das ist ein interessantes Thema. Deshalb interessant, weil es nicht funktioniert! Nicht funktionieren kann.«
    Lena zog die wunderschön geschwungenen Brauen in die Höhe.
    »Nun sagen Sie mir, ob Sie in den letzten zwei Nächten geträumt haben.«
    Lena sank unmerklich zusammen. Sie nickte.
    Max wartete.
    » Unverändert und grausam«, sagte sie leise.
    Max wartete.
    »Allerdings hat sich etwas verändert.«
    » Ja?«
    » Im Traum dieser Nacht tötete ich nicht die Täter, sondern die Zuschauer.«
    » Die Zuschauer.«
    » Wölfi war so, wie er immer war, also kein Hund. Wollen Sie es wirklich wissen?«
    » Das fragten Sie schon einmal. Ja, ich möchte alles wissen.«
    » Es ist schlimm und ich schäme mich dafür.«
    » Alles, was wir hier besprechen, bleibt unter uns. Nur Offenheit führt zu Erfolgen. Aber letztendlich müssen Sie es entscheiden.«
     
     
    » Also Wölfi ...« Lena räusperte sich. Heute trug sie eine weite Bluse, die ihre Reize verbarg, was Max sofort interpretierte: Lena suchte Abstand. Ihr Rock war eine Handbreit zu lang, sie war kaum geschminkt, die vollen blonden Haare waren nach hinten gebunden. Sie wirkte streng wie eine Lehrerin der 60er Jahre. »Wölfi war nackt. Er schrie. Verstehen Sie, mit einer hohen Schwulenstimme, sehr tuntig. Dabei machte er diese seltsamen weichen Bewegungen und trippelnde Schritte. Ich hatte wieder das Traummesser und ging zu ihm, während seine Augen immer größer wurden und aus seinem Mund eine lange Zunge schnellte. Ich griff nach unten zu seinen Hoden und schnitt sie ihm ab. So unglaublich es wirkt, aber ich spürte die kleinen Dinger in meiner Hand, als geschehe es wirklich, und ich hörte seine Schreie, als sei alles real.«
    Sie atmete schwer.
    »Und was geschah mit Toni?«
    » Das war noch schlimmer. In Wirklichkeit konnte ich Toni nicht helfen, da die Kerle auch ihn niedergetreten hatten. Aber in meinem Traum sabberte er vor Angst und kicherte, als Deniz blutete und röchelte. Während die Täter, es waren nur zwei in meinem Traum, lachten und mich anfeuerten, wurde ich wie sie. Ich schlitzte Toni von unten nach oben auf. Und wissen sie, was daran so scheußlich ist?«
    Max schüttelte langsam den Kopf.
    »Man sagt doch, es könne nur geträumt werden, was man selbst erlebt habe. Aber ich weiß nicht, wie Gedärme aussehen, die aus einer Bauchhöhle fallen, ich kenne nicht den abscheulichen Geruch. Aber in meinem Traum wusste ich es. Hören Sie, ich gucke keine Horrorfilme, ich halte mir die Augen zu, wenn auf der Kinoleinwand etwas Schreckliches passiert. Trotzdem sah, fühlte und roch ich alles.«
    » Hatten Sie diese Träume schon, als sie noch bei meinem Kollegen waren?«
    » Nein, erst danach.«
    Für Max war die Sache klar, doch es entsprach nicht seiner Arbeitsweise, dem Klienten die Lösung vorzugeben. Lena suchte die Schuld für Deniz’ Tod bei sich selbst und bestrafte sich mit diesen belastenden Träumen. Ihr Zorn auf die hilflosen Zuschauer war immens. Ein solches Trauma konnte von alleine abklingen, wenn späterer Stress ausblieb. War das nicht so, sprach man von einer Traumafolgestörung, und die lag bei Lena vor, ein klarer Fall von Typ II. Ein Trauma konnte immer wieder neu ausgelöst werden, wenn es getriggert wurde, also auf Schlüsselreize reagierte. Bei Lena mochte das schon bedeuten, eine Ansammlung von Menschen zu sehen. Ihr inneres Bild gaukelte ihr dazu am Boden liegende Opfer vor. Sie wirkte sehr kontrolliert, was keine Seltenheit bei diesem Krankheitsbild war, und hatte die Verarbeitung ihres Leidens in die Traumwelt verlagert, um den Alltag zu überleben. Genau genommen hatte sie jede Nacht ein sogenanntes Flashback, welches das Trauma erneut auslöste. Immer und immer wieder. Eine Heilung war in so einem Fall sehr schwierig und erforderte monatelange, wenn nicht sogar jahrelange Betreuung.
    » Sie haben eine sehr tiefe Wunde«, sagte Max und benutzte das deutsche Wort für Traumen .
    Er begann zu zittern. Ganz leicht nur, sodass er es unter Kontrolle hatte. Da war es wieder, dieses Gefühl, das er nicht abstellen konnte.
    Sie sah ihn an. »Geht es Ihnen gut?«
    Sie hatte es wahrgenommen.
    Er lächelte
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