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Mein ist dein Tod

Mein ist dein Tod

Titel: Mein ist dein Tod
Autoren: Volker Ferkau
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schief. »Ist alles in Ordnung.«
    War es nicht, aber das wusste nur er selbst. Je mehr er sich mit den Folgeerscheinungen sozialer Übergriffe beschäftigte, desto mehr äußerte sich das bei ihm in agitiertem Verhalten. Als Kind war es sehr schlimm gewesen, als Erwachsener konnte er es einengen.
    Danke Dad, du verdammter Mistkerl!
    Er konzentrierte sich wieder auf Lena. Sie musste aufpassen, dass ihre Träume nicht bis in den Alltag drangen, sonst würde sie ganz sicher bald unter einer Derealisation leiden. Sie würde ihre Umfeld verfremdet betrachten und sich selbst als divergent erleben. Sie würde alles als fremd und leblos und ihre eigenen Gefühle als nicht zu sich selbst gehörend empfinden. Das war manchmal der einzige Schritt, um sich vermeintlich aus einem Trauma zu lösen. Eine Flucht vor sich selbst, die letztendlich schlimm endet, manchmal mit Suizid.
    Max überlegte nicht lange, sondern hörte auf seine innere Stimme. Er beugte sich vor und setzte sein schönstes Lächeln auf. »Bitte erschrecken Sie nicht, Lena. Ich mache Ihnen jetzt einen Vorschlag, der unüblich ist. Aber ich bitte Sie, mir zu vertrauen.«
    Sie legte den Kopf eine Winzigkeit schräg. Ihre Augen glänzten müde, aber neugierig.
    »Ich möchte Sie zum Essen einladen.«

8
     
    Berlin, 1985
     
    Georg W. Fielding erzählte später gerne, er sei Ende September 1958 das erste Mal nach Deutschland gekommen, nur eine Minute später, nachdem das Flugzeug mit Elvis Presley gelandet war, mit dem er in der 3. US-Panzerdivision in Friedberg gedient habe. Und Elvis sei ein wirklich netter Kerl gewesen, mit dem er hin und wieder einen getrunken habe. Niemand wusste, ob diese Geschichte stimmte, aber sie hatte ihren Reiz.
    In Deutschland lernte er eine Frau kennen, die zwar übergewichtig, aber im Gesicht eine wahre Schönheit war. Nach seiner Dienstzeit kehrte Georg zurück in die USA, doch 1962 kam er wieder nach Bremerhaven.
    Gemeinsam mit Elsbeth ging Georgie nach Berlin, einer geschichtsträchtigen Stadt, für jeden Amerikaner der Mittelpunkt von Europa.
    Jahrelang betonte er, der Tag, an dem der erste Stein der Berliner Mauer gelegt wurde, habe sein Leben verändert. Er fand sein Vergnügen daran, diese Mauer aus Stein mit jener zu vergleichen, die seine Seele teilte. Es konnte kein Zufall sein, dass beides am 13. August 1961 geschehen war. Mauerbau und Stanley Milgram.
    In Berlin zeugten er und Elsbeth zehn Jahre und unzählige Versuche später einen Sohn, den sie Maximilian nannten, ein Name, den sie für sehr deutsch, aber auch gesetzt und achtbar hielten, außerdem mochte Georg den deutschen Schauspieler Maximilian Schell, der mit ‚Das Urteil von Nürnberg’ in den USA Furore gemacht hatte. Selbstverständlich nannten sie den Jungen umgangssprachlich Max.
    Elsbeth starb an Bauchspeicheldrüsenkrebs und Georgie kümmerte sich um sein einziges Kind. Er verdiente als Elvis-Imitator genug Geld, um sich und Max über die Runden zu bringen, und eigentlich hätten sie glücklich sein können, wäre Georgie nicht einem neuen Freund begegnet. Er trug den Namen Jim Beam.
    Mit zehn Jahren war Max alleine.
    Nicht immer. Hin und wieder brachte sein Vater Saufkumpane mit nach Hause. Dann saß er auf der Couch, noch immer im grausig weißen Elvis-Outfit, die Haare gefettet und zur Tolle geschwungen, und röhrte stockbesoffen, ‚In the Ghetto.’
    Seine Kumpane waren begeistert und Georgie war freigiebig. Er hatte sich nie an deutsches Bier gewöhnen können. Sein brauner dünner Faden zur Heimat befand sich auf dem Grund der Whiskeyflasche.
    Nicht selten lag Max im Bett und lauschte den viel zu lauten Gesprächen. Die ganze Wohnung stank nach Zigarettenrauch, Schnaps und Furz. Und später, wenn die Gäste gegangen waren, kam sein Vater zu ihm und lallte ihm vor, was damals geschehen war. Damals, als er zum Mörder wurde.
    » Ich bin dankbar dafür, mein Junge.«
    » Wieso bist du dankbar?«
    » Das Experiment hat mir gezeigt, dass wir alle Mörder sind.«
    » So etwas würde ich nie tun«, sagte Max.
    Zwei Jahre später, sein Vater war ausnahmsweise halbwegs nüchtern, brachte Max eine weiße Maus aus der Schule mit nach Hause. Sie war in einem Käfig und saß auf den Hinterpfoten, während ihre niedlichen Nasenhaare im Kreis wirbelten. Für Max war die Maus ein Geschenk, das er hegen und pflegen wollte, als sein Vater sagte: »Töte sie!«
    Max erstarrte. Er war zwölf und wollte nicht töten.
    Sein Vater sah ihn an und sagte sehr ruhig: »Du
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