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Mein ist dein Tod

Mein ist dein Tod

Titel: Mein ist dein Tod
Autoren: Volker Ferkau
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Fahrtgeld, aber er war auch einer, der eine Sache richtig machte. So, wie sein Vater es ihm beigebracht hatte. Was man anfing, beendete man.
    Und so drückte er auch die 450 Volt. Sogar eine halbe Sekunde zu lange, denn er wollte es richtig machen.
    Richtig, right? Alles klar?
    Sein Finger schienen zu erstarren, Tränen im Gesicht, der Schüler nebenan schwieg. War er tot?
    Fielding wirbelte herum, rutschte fast vom Stuhl, starrte den Leiter an. »Und nun? Ist er tot?«
    » Hätten Sie ihn getötet?«
    » Nein, selbstverständlich nicht.«
    » Sie haben gute Arbeit geleistet, Mr Fielding.« Der Versuchsleiter kam hinter der Maschine hervor. Er ließ die eine, die wichtige Antwort im Raum schweben, doch sie war spürbar wie stinkender Dunst. Die Tür öffnete sich. Der Schüler trat ein, übers ganze Gesicht grinsend.
    George W. Fielding bebte am ganzen Körper. In Schweiß gebadet. Verwirrt, völlig aufgelöst.
    Er begriff, dass alles nur Show gewesen war.
    Und dass er nur 30 Minuten gebraucht hatte, um zum Mörder zu werden .

7
     
    Berlin, 2013
     
    » Das war nicht das einzige Experiment, das Milgram durchführte, Lena«, erklärte Max bei ihrer nächsten Sitzung. »Die Befehle waren standardisiert, damit es zu keinen Veränderungen kam. Nur wenige Sätze, die genügten.«
    Lena starrte ihn entgeistert an.
    »Sie denken, ich habe mir das ausgedacht? Aber nein. Mit diesen Experimenten wurde Stanley Milgram berühmt, aber auch zum Ausgestoßenen, denn seine Kollegen waren der Meinung, man dürfe so etwas nicht tun. Immerhin wurden Versuchspersonen dadurch traumatisiert, einige sprachen noch vierzig Jahre nach dem Milgram-Experiment, das bis zuletzt an über 700 Personen getestet wurde, von Alpträumen und dem Gefühl, schuldig geworden zu sein. Man versuchte, Milgrams Versuche zu banalisieren oder ins Gegenteil zu verkehren. Ich denke anders darüber. Warum nicht zeigen, dass wir nur kleine Schleimer sind, die sofort alles tun, wenn man uns die vermeintliche Verantwortung abnimmt. War Eichmann im Dritten Reich ein Dämon oder ein Sachverwalter? Misst man es an Milgrams Experimenten, war er nichts anderes als ein genialer Koordinator, der wusste, wie man besonders gut mit Zahlen umgeht. Nicht besser oder schlechter als jene, die auf den 450-Volt-Knopf drückten, immerhin 27 von 40 im geschilderten Experiment. Alle Befehlsempfänger, die gedankenlos ausführen, was ihnen geheißen wurde. Eichmann wurde hingerichtet. Milgrams Probanden nicht, die garantiert nicht anders gehandelt hätten als der sogenannte Buchhalter des Todes.«
    Er machte eine Pause und fügte hinzu: »Milgram selbst zeigte Verachtung für seine Subjekte, wie er sie nannte. Einmal berichtete er mit unverhohlenem Stolz, er sei Zeuge gewesen, wie sich ein gesetzter, selbstsicherer Geschäftsmann in ein zuckendes, stotterndes Wrack am Rande des Nervenzusammenbruches verwandelt hatte. Oh nein, er liebte seine Probanden nicht, denn sie wurden in weniger als einer Stunde zu Mördern. Wer das miterlebte, konnte nur so denken wie Milgram.«
    » Und doch haben auch viele früher abgebrochen.«
    » Keiner, der nicht die 200 Volt betätigte. Ich meine, das genügt. Haben Sie schon mal einen Stromschlag bekommen? Aus der Steckdose sind das nur geringfügig mehr als 200 Volt. Ich kann drauf verzichten. Hannah Arendt nannte das Die Banalität des Bösen .«
    » Ich kenne diese Hannah nicht und auch nicht Eichmann.«
    » Dafür sind Sie zu jung, und wäre es anders, würde dieses Gespräch auch ausufern, denn es hat nicht viel mit unserer Therapie zu tun.«
    » Aber ich begreife, was Sie mir erklären wollen.«
    » Und das ist das Wichtigste.«
    » Und so sehen Sie das auch bei diesen Jugendgruppen, die wahllos verletzen oder töten?«
    » Ja. Die wenigsten dieser jungen Männer planen ihre Handlung. Meistens beginnt einer von ihnen und erteilt damit den Kumpanen sozusagen die Erlaubnis. Er übernimmt die Verantwortung. Nun möchte niemand mehr zurückstehen. Wir nennen das Gruppenzwang. Außerdem überschreiten diese jungen Erwachsenen den schmalen Grat, von dem ich sprach. Sie steigern sich in einen Gewaltrausch, den sie später selbst nicht mehr begreifen. Sie werden zum Tier, das in uns lauert. Sie brauchen keine dreißig Minuten, um zu Mördern zu werden, bei ihnen geschieht es explosiv, unvermittelt. Und wenn sie betrunken sind oder unter anderen Drogen stehen, ist die Hemmschwelle gleich Null.«
    » Und man kann nichts dagegen tun?«
    » Oh doch – es gibt
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