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Mein grosser Bruder

Mein grosser Bruder

Titel: Mein grosser Bruder
Autoren: Berte Bratt
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Zwischenzeit übte ich mich darin, Theaterschminke aufzulegen. Elsa ließ mich das Stück lesen, damit ich ungefähr wußte, was ich zu tun hatte. Und dann versuchte ich, leicht und beschwingt gehen zu lernen. Im ersten Teil sollte „ein Teil der Gäste“ in der Halle eines eleganten Sommerhotels flanieren.
    Endlich wurde eines Tages vom Theater angerufen.
    Alles war ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich hätte nie gedacht, daß eine Theaterbühne hinter den Kulissen so stimmungslos sein könnte. Graue Wände aus Rupfen, aufgestapelte staubige Möbel und hastende Menschen in Arbeitskitteln. Und die Bühne selbst! Ich hatte nie geahnt, daß sie so schräg war. Anfangs war ich geradezu in Panik. Ich dachte, ich würde jeden Augenblick hinunter ins Orchester schlittern.
    Der Zuschauerraum war von der Bühne aus gesehen ein großes, schwarzes, gähnendes, leeres Loch!
    Nein – ganz leer war er nun auch wieder nicht. In einer der ersten Reihen saß der Regisseur und rief seine Anweisungen, brach das Spiel ab, schalt den Beleuchter oder einen Schauspieler und war im nächsten Augenblick wieder sanft.
    Ein paar Minuten lang herrschte oft ein furchtbares Durcheinander. Aber die geübten Augen und Hände des Regisseurs brachten erstaunlich bald Ordnung und System in das Ganze.
    Im ersten Akt arbeiteten zwölf bis vierzehn Statisten. Soweit ich begriff, waren die Hälfte davon Anfänger, die anderen hatten schon Übung in diesem Beruf.
    Die alten und trainierten Statisten bekamen je einen Anfänger als Partner. Wenn der Vorhang zum ersten Akt aufging, sollten wir in der schicken Hotelhalle stehen, einige bei der Bar, einige beim Portier, einige sollten mit Zeitungen und Getränken dasitzen, es sollte das Bild eines mondänen Sommerhotels entstehen.
    „Torsten“, rief der Regisseur, „nehmen Sie sich der kleinen Blonden da an, wie heißt sie denn schnell? – richtig, Fenger. Fräulein Fenger, Sie und Torsten Holm stehen rechts von der Tür im Hintergrund. Mit Gläsern in den Händen. Bißchen Leben, Torsten, eine Andeutung von Flirt, aber diskret, so daß es nicht die Aufmerksamkeit vom Spiel ablenkt. Verstanden?“
    „Okay“, sagte der Mann, der Torsten hieß. „Hierher“, sagte er, sich mir zuwendend. „Wie heißt du?“
    „Vivi Fenger“, sagte ich, außerstande, mehr zu sagen.
    „Lächle süß, Vivi, scher dich den Teufel drum, was sonst auf der Szene vor sich geht, vorläufig jedenfalls. Konzentriere dich auf meine Unwiderstehlichkeit.“
    Ja, Torsten Holm war hervorragend trainiert, das war leicht zu merken.
    Die Statisten wurden plaziert und bekamen Anweisungen. Nein, daß ein Theater so unglaublich alltäglich wirken konnte! Da gingen wir und standen und setzten uns, ohne Kostüme, ohne Requisiten. Die Gläser, die wir in den Händen halten sollten, wurden nur durch Handbewegungen markiert. Dann begann die erste Szene.
    In dem Augenblick, als „Vorhang auf“ markiert wurde, bekam Torstens Gesicht einen lebendigen, lächelnden Ausdruck. Er beugte sich zu mir und flüsterte: „Magst du marinierten Hering? Ich mag ihn gern, aber nicht mit zuviel Zwiebel. Aber es soll reichlich Pfeffer daran sein. Prost, Vivi!“ Er tat, als ob er sein Glas zum Mund führte, und unwillkürlich äffte ich ihn nach. „Schürfwunde an den Fersen ist das Scheußlichste, das ich kenne“, fuhr Torsten fort und sah mir immer noch lächelnd ins Gesicht. „Aber ein Filzring hilft. Denke daran: kein Pflaster, das macht es schlimmer. Nur ein gewöhnlicher Hühneraugenring.“
    „Was – was ist der Sinn von dem allen?“ flüsterte ich.
    „Von was? Ach, von meiner geistreichen Konversation? Himmel, irgend etwas muß ich ja sagen, weißt du. Du mußt mir antworten. Ich kann hier nicht stehen und einen flüsternden Monolog halten.“
    „Ich mag marinierte Heringe gern und verabscheue Schürfwunden“, antwortete ich und kam mir reif für eine Irrenanstalt vor.
    Dann begann das Spiel vorn an der Bühne.
    „Schluß mit unserem geistvollen Gespräch“, flüsterte Torsten. „Jetzt kommt Elsa gleich die Treppe herunter, und da sollen wir sie bewundernd anstarren. Was würden die Autoren wohl ohne dekorative Treppen tun? Es ist die einzig wirkungsvolle Art, die Primadonna auf die Bühne zu bringen.“
    Gleichzeitig hörte ich ein unterdrücktes „Nein, zum Teufel“ hinter den Kulissen. Ich schaute vorsichtig hinaus. Da stand Elsa am Fuß einer Leiter und betrachtete ärgerlich eine Laufmasche in ihrer
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