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Mein grosser Bruder

Mein grosser Bruder

Titel: Mein grosser Bruder
Autoren: Berte Bratt
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zu trösten.
    „Nun ja. Vielleicht. Allerhand, daß sie mir so eine hübsche kleine Braut zutraut!“
    Du liebe Zeit!
    Der Pelzmantel hatte mir fast schon den Atem geraubt. Aber von Johannes ein Kompliment zu bekommen, ein richtiges, charmantes Kompliment, das gab mir wahrhaftig den Rest.
    Also mußte ich fast ohne Atem zurechtkommen, als ich nach Hause rannte, um ein großes Kreuz in den Kalender zu malen!

Theaterluft
     
     
    Die Dachkammer in Tante Charlottes kleinem weißen Haus am Birkenweg war früher voll Koffer, alter Kleider und Plunder gewesen. Wie oft waren wir als Kinder hineingeschlüpft, wenn wir an Regentagen dort Verstecken spielten! Jetzt war sie nicht wiederzuerkennen. Helle Tapeten, wenige, aber ausgesucht schöne Möbel, ein paar gute Stiche und ein Aquarell an den Wänden. Ein niedriges Bücherregal, auf dem Fußboden ein schöner Teppich, eine bequeme Couch, die im Handumdrehen in ein Bett verwandelt werden konnte. Und selbstverständlich ein paar weiche Sessel, ein Schrank, ein Schreibtisch, ein niedriger Teetisch, Lampen und Blumen.
    Elsa braucht nur eine Lampe zehn Zentimeter weiterzurücken oder Blumen in ein Glas zu stellen, schon hat das Zimmer ihr Gepräge und ist behaglicher als früher.
    Dieser Raum, der ganz nach ihrem Geschmack eingerichtet war, war so urgemütlich, daß alle professionellen Innenarchitekten sich selbst einpacken könnten – in ihre eigenen Entwürfe!
    Tee dampfte in den blauen Keramiktassen. „Für feines Porzellan langt das Geld nicht – da mag ich schon lieber Keramik“, erklärte Elsa. Der Kessel surrte leise auf dem elektrischen Ofen, und wir plauderten uns den Mund fusselig. Wir hatten uns viel zu erzählen und so viel zu fragen.
    Ich wurde nicht müde, Elsas amüsante Theatergeschichten anzuhören, von ihren Freunden und Kollegen, von den Rollen, die sie gespielt hatte oder die sie gern spielen wollte. Und Elsa fragte und bohrte. Am Anfang antwortete ich ausweichend, denn es war ja nicht immer leicht, von unserem „Daheim“ zu erzählen.
    Aber Elsa ging direkt zur Sache. Mit ihrem guten Lächeln und der vernünftigen, klaren Stimme sagte sie: „Du, Vivi, weißt du, was ich glaube? Ich glaube, du hast eine Aussprache nötig. Als ich klein war, habe ich deine Geheimnisse immer für mich behalten, und das werde ich jetzt wohl auch können. Ich möchte ja nicht indiskret sein. Aber mir scheint, du hast verschiedenen Schutt in dir aufgespeichert, den du einmal gründlich ausräumen mußt. Und einen besseren Mülleimer als mich kannst du kaum finden.“
    Ich lachte laut. Aber gleich darauf war ich wieder ernst.
    „Warum glaubst du, daß ich eine Aussprache nötig habe, Elsa?“
    „Das braucht doch jeder Mensch ab und zu. Und du bist einsam, Vivi. Schauderhaft einsam. Du bist es immer gewesen.“
    „War ich das?“
    „Ja. Du hattest Freundinnen genug, aber ohne rechte Vertraulichkeit zu einer von ihnen. Du hast nie geredet, weil du so viel zu verschweigen hattest. Stimmt es?“
    „Ja, Elsa.“
    „Und jetzt, wo ich dich nach all diesen Jahren wieder getroffen habe, hatte ich sofort den gleichen Eindruck tiefer Einsamkeit von dir. Du hast ja nur einen Menschen, mit dem du reden kannst, deinen Bruder. Aber wenn ich mich recht erinnere, lädt er nicht gerade zur Vertraulichkeit ein. Ist er noch immer so vortrefflich und pflichtgetreu?“
    „Ja, das kannst du glauben! Ich habe nie im Leben einen pflichtgetreueren Menschen getroffen.“ Elsa nickte.
    „Er hat viel für dich getan, Vivi. Sei froh, daß er pflichtgetreu ist.“
    „Er ist auch herzensgut zu mir. Aber er ist so, so…“, ich suchte nach Worten. Elsa half.
    „Phantasielos? Lebt er vielleicht gar zu sehr nach der Uhr?“
    „Ja, genau das.“
    „Ja, aber Vivi, verstehst du nicht, das ist eine ganz natürliche Reaktion auf… auf…“, jetzt war es Elsa, die stammelte.
    „Worauf, Elsa?“ Ich hörte selbst, daß mein Ton herausfordernd war.
    Elsa sah mich kurz an und lächelte.
    „Darf ich so reden, wie mir der Schnabel gewachsen ist, Vivi?“
    „Ja“, flüsterte ich. Aber dann fügte ich hinzu – beinahe flehend: „Aber sage nichts Häßliches über Mamilein.“ Elsa strich mir über die Haare.
    „Meine kleine Vivi. Damit hast du es selbst schon ausgesprochen, und ich brauche nichts mehr zu sagen. Du hast eines mit deinem Bruder gemeinsam, eine enorme Loyalität. Nun, Vivi, ich bin froh, daß deine Mutter wieder verheiratet ist und einen guten Mann hat.“
    „Ich bin auch froh“,
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