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Mein grosser Bruder

Mein grosser Bruder

Titel: Mein grosser Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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Kino gehen wollte und nachher vielleicht noch auf eine Weile heim zu ihr.
    Ich dachte nicht daran, wie schäbig es von mir war, Johannes so anzulügen. Ich war wieder eine kleine Range und fand es schrecklich spannend, abzuwarten, ob und wie ich mit allem fertig würde. Ich kam mir sehr geschickt vor, wenn es mir gelang, von daheim fortzukommen, ohne Johannes’ Mißtrauen zu wecken.
    Am Tag der Premiere sagte ich nichts bis zum Nachmittag. Ich wollte nicht riskieren, daß Johannes plötzlich ins Theater ging. Und ich hoffte inständig, daß keine Karte mehr aufzutreiben wäre, als ich endlich beim Kaffee sagte: „Du, Johannes, heute ist Premiere. Du weißt: das Lustspiel, in dem Elsa die Hauptrolle spielt. Sie hat mir Zugang verschafft. Karten konnte ich zur Premiere nicht mehr haben, aber so bekomme ich sie immerhin zu sehen. Du kannst dir denken, wie ich mich freue.“
    „Du hättest ja etwas sagen können, dann hätten wir rechtzeitig Karten gekauft. Nun ist es wohl zu spät.“
    „Ach ja, es war schon gestern ausverkauft, sagte Elsa.“
    „Nun gut! Ich wünsche dir viel Vergnügen. Aber jetzt fange ich an, mich darauf zu freuen, daß du wieder mal einen Abend zu Hause bist. In letzter Zeit warst du ja ständig unterwegs. Ich habe dich vermißt.“
    Mein Herz krampfte sich zusammen.
    Mit einemmal fand ich meine Schwindelei gar nicht mehr amüsant. Ich fühlte mich nicht länger wie ein Schulmädel, das einen Streich ausheckt. Ich war erwachsen. Erwachsen und -niederträchtig.

Der erste Kuß
     
     
    Es ist viel über die Gefühle eines Schauspielers an einem Premierenabend geschrieben worden, über die Stimmung beiderseits des Vorhangs, gesehen mit den Augen des Publikums, des Autors und des Schauspielers. Aber niemand hat sich Gedanken darüber gemacht, wie das auf uns, die Statisten, wirkt.
    Diese verdichtete nervöse Stimmung, mit der man selbst nichts zu tun hat, von der man aber doch ein Teil ist. Das Abrollen der ganzen großen Maschinerie, in der man selbst nichts zu sagen hat und in der man doch ein wichtiges Rad ist. Die Augen des Publikums hängen an den Schauspielern und bemerken die Statisten kaum. Die aber schminken und putzen sich doch allein für die Zuschauer.
    Im Saal summte es. Ach wie gern hätte ich durch den Vorhang gelugt! Aber das Guckloch war ständig von Schauspielern besetzt.
    Ich bin in meinem Leben nicht oft im Theater gewesen. Aber diese wenigen Male hatte ich stets die erwartungsvolle Stimmung der letzten Minuten vor Beginn in mich hineingetrunken. Ein Theaterabend war für mich immer noch ein Ereignis und von demselben Märchenglanz umgeben wie beim erstenmal, als ich neben Mamilein saß und „Hansel und Gretel“ sah. Mamilein hatte damals einen Schauspielerfreund, der Freibilletts verschaffte.
    Diesmal trank ich die Stimmung noch intensiver in mich hinein. Und, um im Bild zu bleiben: Die Erwartung im Zuschauerraum ist wie ein Glas fader Limonade im Vergleich zu dem Spannungscocktail, der auf der anderen Seite des Vorhangs getrunken wird.
    Die Musik setzte ein.
    Wir ordneten uns in die vorgeschriebenen Gruppen. An der Tür standen Torsten und ich mit den Gläsern in der Hand. Die schwarze Perücke machte mich erwachsener. Ich sollte ja auch eine ganz andere Person sein als das Mädel im dritten Akt.
    Das Kleid fiel in den richtigen Falten; die Schminke saß richtig. Elsa hatte es mich ja gelehrt.
    Von mir aus konnte der Vorhang hochgehen.
    Jetzt wurde er hochgezogen. Vor uns lag der Zuschauerraum – ein großes, schwarzes Loch mit einer nebelhaften Masse von weißen Gesichtern über dunklen Schultern.
    So wirkte das Publikum von der Bühne aus gesehen! „Was hast du heute zu Mittag gehabt, Vivi? Ich habe Kohlrouladen gegessen. Die waren wirklich scheußlich. Magst du sie lieber in weißer Sauce oder mit brauner Butter?“
    „In weißer Sauce, Torsten. Aber hör mal, hast du denn keine Spur von Herzklopfen, wenn du an das Publikum denkst?“
    „Prost, Geliebte! Nein doch, nimm mich nicht ernst. Aber wir sollen ja trinken. Pfui, wie Nilsen am Fruchtsaft spart. In unserer Operette ging ihm der Saft mal aus, da hat er uns Wasser gegeben, mit Hummerfarbe gefärbt. Wir haben ihn nachher beinahe gelyncht. Das hier ist übrigens die billigste Sorte Haushaltungssaft.“
    Torsten quasselte drauflos und sah mich die ganze Zeit dabei an, lächelnd interessiert, aufmerksam zuhörend, leicht verliebt. Torsten schien eine märchenhafte Routine in diesem sonderbaren Statistenberuf zu

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