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Mein Freund Jossele

Mein Freund Jossele

Titel: Mein Freund Jossele
Autoren: Ephraim Kishon
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auch beim Abschlussempfang ein, wo ich dem Vorsitzenden des Kongresses kräftig die Hand schüttelte. Seine Frage an den neben ihm stehenden Dolmetscher: »Wer ist das?«
    beantwortete ich dahingehend, dass ich der Geist des gequälten jüdischen Volkes sei.
    Der Vorsitzende nickte freundlich und meinte, auch er hätte auf dieser Tagung viel gelitten.
    Kongresse sind, im Großen und Ganzen, eine gute Sache. Sie sind gut für die Gäste wie für die Veranstalter, sie sind gut für die Hotels und Restaurants der gastgebenden Stadt, für die Devisenhändler und die Massagesalons. Weniger gut sind sie für den Steuerzahler, aber der ist ohnehin in der Minorität. Die Majorität ist beim Kongress.

Fernsehen hat Vorrang
    Seit der erste Höhlenmensch über den Fuß des zweiten gestolpert und hingeplumpst ist, gehören Verkehrsunfälle zu den reizvollsten Unterbrechungen unseres langweiligen Daseins. Anders ließe sich ja auch die Beliebtheit der Autorennen nicht erklären. Der hochentwickelte Konsumkulturmensch, zumal wenn er in Rudeln auftritt, ist jedoch nicht auf Autorennen angewiesen und nicht einmal auf richtige Verkehrsunfälle. Die Menge veranstaltet alles, was sie braucht, in eigener Regie. Und mit tatkräftiger Unterstützung durch das Fernsehen.
    Es war ein klassischer Verkehrsunfall. Ich habe alles beobachtet. Ein Pkw streifte eine ältliche, mit dem Überqueren der Straße beschäftigte Fußgängerin, geriet ins Schleudern und fuhr auf einen geparkten Lieferwagen auf, tatsächlich auf, ungefähr bis zur Hälfte der Ladefläche. Es war, rein geometrisch betrachtet, ein merkwürdiger Anblick. Der Pkw-Fahrer verharrte auf seinem Sitz, ließ den Kopf aus dem Fenster und die Zunge aus dem Mund hängen und schien sich nicht besonders wohl zu fühlen.
    Die Zweiwagenpyramide lockte alsbald eine größere Menschenmenge an, die - wie immer in solchen Fällen - nichts Vernünftiges zu tun wusste. Nur ein junger Mann behielt den Kopf oben und eilte zur nächsten Telefonzelle. Nach einer Minute kam er zurück:
    »Ich habe sie verständigt«, berichtete er. »Sie fahren sofort los. Der Kameramann sagt, dass man nichts anrühren soll.«
    »Es ist zu spät«, bemerkte ein Zuschauer. »In die Abendnachrichten kommt's nicht mehr. Bevor sie den Film entwickeln und schneiden und was es da sonst noch zu tun gibt - das schaffen sie nie.«
    »Doch, sie schaffen es«, widersprach ein anderer.
    In aller Augen leuchtete die Fernseh-Gier, in aller Ohren klang schon jetzt die Stimme des Ansagers: »Unser Reporter befragte an der Unfallstelle einige Augenzeugen.« Vielleicht kommt ein ganzes Team mit drei oder vier Kameras. Vielleicht werden die Aufnahmen für die neue Erziehungsserie des Verkehrsministeriums verwendet: »Die Schrecken der Straße und was man dagegen tun kann.«
    Dann würden sie mehrmals hintereinander gesendet werden. Dann kommen wir mehrmals hintereinander auf den Bildschirm.
    Der Pkw-Fahrer oben auf der Pyramide begann zu stöhnen. Das hat uns gerade noch gefehlt: dass er zu Bewusstsein kommt und die Aufnahme schmeißt!
    Auch auf den Polizisten mit seinem ewigen »Bitte zurücktreten!« könnte man verzichten. Hämische Zurufe schwirrten ihm entgegen:
    »He, Lieutenant Kojak . . . Hältst du dich für die Straßen von San Francisco ... Du möchtest wohl allein die ganze Show bestreiten, was . . .«
    Jemand schlug vor, den Pkw noch ein wenig höher zu schieben, damit es richtig sensationell aussähe. »Lassen Sie nur«, sagte ich. »So, wie er jetzt liegt, ist es gut genug.«
    Damit stand für die Menge fest, dass ich ein Mann vom Fernsehen wäre. Einige erinnerten sich, mich in der Sendereihe »So ist das Leben« gesehen zu haben und umringten mich aufgeregt:
    »Euer Popsong-Programm ist miserabel«, beschwerte sich einer. »Warum engagiert ihr keine italienischen Sänger? Sie sind die besten.«
    Die ältliche Dame, die den Unfall verursacht hatte - ihr selbst war weiter nichts geschehen -, fand es unschön von mir, dass der verbilligte Seniorentarif abgeschafft worden sei. Das hätte ich nicht tun dürfen, meinte sie. Ein Pensionist zupfte mich am Ärmel: Auf seinem Bildschirm erschienen immer wieder diese gewissen Wellenlinien, und ich sollte das endlich reparieren.
    Im ganzen schien die Ansammlung mit meiner Regie des Vorfalls nicht recht zufrieden zu sein, aber niemand sprach es deutlich aus, weil alle ins Bild kommen wollten.
    Der Fahrer oben stöhnte schon wieder.
    Plötzlich erklang eine freudige Stimme:
    »Sie
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